ZPPS, Band 2 (1935), Heft 3 (7), S. 190-192
Besprechung:
«Über Psychoanalyse, Krieg und Frieden»
[zu einer Kontroverse zwischen Otto Fenichel und Edward Glover]
In Heft Nr. 2-3 des «Internationalen Ärztlichen Bulletins» erschien ein Aufsatz von Otto Fenichel, der ein Buch von Edward Glover (London), «Krieg, Sadismus und Pazifismus», kritisierte. Diese Kritik wurde nun in Heft 5-6 der gleichen Zeitschrift von Glover wie folgt beantwortet:
"In Ihrer Ausgabe vom März 1935 erweisen Sie mir die Ehre, eine längere Kritik von Fenichel über mein Buch «Krieg, Sadismus und Pazifismus» zu veröffentlichen.
Was Fenichels Haupteinwände betrifft, so besteht wenig Interesse, darauf einzugehen. Sie stellen die übliche Antwort des Sozialisten oder Kommunisten auf einen psychologischen Versuch dar, der seine ökonomischen und soziologischen Lieblingstheorien zu bedrohen scheint. Es ist vielleicht auf-
191
fällig, dass ein Berufspsychologe von Fenichels Rang weniger psychologische Einsichten zeigt als die meisten sozialistischen oder kommunistischen Theoretiker. Aber das ist schliesslich seine eigene Angelegenheit.
Ich schreibe zunächst, um auf zwei einzelne Punkte zu lenken, die mich persönlich betreffen, und zweitens auf einen Punkt, der die Beziehungen der Psychoanalyse zur Soziologie in vitaler Weise angeht.
Was die einzelnen Punkte betrifft: Fenichel behauptet nicht nur, dass mein Buch eine rücksichtslose Karikatur der von Freud in seinem Buche «Warum Krieg ?» über den Krieg ausgeführten Hauptsätze sei, sondern dass besonnene und orthodoxe Psychoanalytiker die von mir aufgestellten Argumente nicht unterstützen würden. Es ist vielleicht von Interesse festzustellen, dass die im Buch dargestellten Ansichten in Form eines Vortrages in Genf mindestens ein Jahr vor der Arrangierung des Freud-Einstein-Briefwechsels geäussert wurden. Was den zweiten Punkt betrifft, so genügt vielleicht die Mitteilung, dass der Gründer der Psychoanalyse (der wohl als genügend orthodox betrachtet werden kann) sich als 'fast restlos einverstanden' mit den Argumenten erklärt hat, die in meinem Buch dargelegt sind.
Auf jeden Fall ist es wichtiger, folgendes klarzustellen: Die Psychoanalyse, welche die neue Wissenschaft der klinischen Psychologie repräsentiert, gehört zu keinem bestimmten politischen Glaubensbekenntnis. Sie will nicht in einen künstlichen Konflikt zwischen 'Sozialismus' oder irgend einen anderen 'Ismus' hineingezogen werden; sie will auch nicht dazu gezwungen werden, für den Sozialismus die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Soviel ich weiss, haben die wenigen Versuche, die von Analytikern gemacht wurden, die Psychoanalyse zur Stütze eines besonderen politischen Glaubens zu gewinnen, in einer Ablehnung analytischer Grundsätze und Verleugnung analytischer Entdeckungen geendet. Die neueste Bemühung, die Psychoanalyse auf diese Weise auszubeuten, hat ihren Urheber zu den naivsten und äusserst ungenauen Annahmen über den Einfluss später Umgebungsfaktoren auf das Unbewusste geführt, Annahmen, die kein Orthodoxer einen Augenblick verteidigen würde.
Edward Glover"
(Zuletzt ist Reichs Forschung gemeint.)
Hierzu bemerkt Dr. Otto Fenichel:
"Glovers Erwiderung auf meinen Artikel hebt zwei Details heraus, die für ihn persönlich von besonderem Interesse sind, und einen Punkt, der die Beziehung zwischen Psychoanalyse und Soziologie betrifft. In Bezug auf jene muss ich die Richtigstellung entgegennehmen, dass Glovers Vorlesungen ein Jahr vor dem Freud-Einstein-Briefwechsel gehalten wurden; ferner feststellen, dass ich, wenn Professor Freud sich mit Glovers Buch als 'fast restlos einverstanden' erklärte, an dieser Stelle meinem verehrten Lehrer, Prof. Freud, nicht folgen kann. Wichtiger aber sind die allgemeinen Bemerkungen Glovers, denen zufolge meine Kritik seines Buches ein Einspannen der Psychoanalyse in den Rahmen eines politischen '...ismus' wäre, bei dem für die Wissenschaft nichts Gescheites herauskommen könnte. -- Ich forderte, man möge, ehe man über einen Gegenstand wisssenschaftlich urteilt, erst einmal die wirklichen Tatsachen in ihrer Bedeutung würdigen; man dürfe nicht den Trugschluss ziehen, aus der Erkenntnis der Wirksamkeit unbewusster Triebe, die 'rationalisiert' werden, folgt, alle andere reale Wirklichkeit wäre bedeutungslos und beeinflusst das menschliche Handeln nur insoferne, als es zu Rationalisierungen dient. Wäre Aufstellung und Erfüllung solcher Forderungen 'Einspannen der Wissenschaft in den Dienst unwissenschaftlicher Propaganda' -- dann bekennte ich mich gerne zu dieser 'Unwissenschaftlichkeit'.
Fenichel"
Wir bewundern die taktische Vorsicht dieser Sätze.
Da die Sexpol an derartigen Diskussionen nicht nur interessiert, sondern vielmehr ihr eigentlicher Urheber ist, fühlen wir uns verpflichtet, hierzu unseren Standpunkt kurz darzulegen:
1. Dr. Edward Glover hat mit seiner Behauptung, dass Freud seiner Weltanschauung nach mit der Glover'schen Richtung "fast restlos einverstanden" ist, vollkommen recht. Wir haben von jeher darauf hingewiesen, dass die soziologischen Denkfehler der bürgerlichen Psychoanalytiker sämtlich in den Freud'schen soziologischen und philosophischen Schriften angelegt sind. Freud war nur nie grotesk wie etwa Laforgue oder Glover.
192
2. Dr. Otto Fenichel stellt sich naiv, wenn er so tut, als ob ihm diese Einstellung Freuds erst jetzt bekannt geworden wäre. Fenichel ist einer der besten Kenner der psychoanalytischen und gewiss der Freud'schen Literatur; er wusste genau, dass hinter Glover Freud steht. Fenichel wusste auch genau, dass die Diskussion Freuds mit Einstein über «Krieg und Frieden» eine grundsätzlich falsche, nämlich biologistische Anschauung über den Krieg vertrat. Er bleibt in seiner Antwort am Formalen haften und verhüllt dadurch den Kern der Sache. Das Wesentliche, das Glover ebenso wie die meisten anderen bürgerlichen Analytiker übersieht, ist folgendes: Die Analyse hat als ihr ursprüngliches Ziel die Befreiung der Menschen von dem, was ihr Triebleben unterdrückt und knechtet. Wenn sie diese Aufgabe konsequent verfolgt, kommt sie, gewollt oder ungewollt, notwendigerweise auf sehr schwere Hindernisse, die die Umwelt ihr entgegenstellt. Es sei hier nur in Kürze genannt: die Wohnungsnot, die wirtschaftliche Abhängigkeit der Jugendlichen von den Eltern, die heutige Eheinstitution und Ehemoral etc. Sich diesen Tatbestand klar und nüchtern zu überlegen, hat weder etwas mit "Kastanien aus dem Feuer holen" zu tun, noch bedeutet das "naivste und äusserst ungenaue Annahmen über den Einfluss späterer Umgebungsfaktoren auf das Unbewusste." Wir haben allerdings nicht den Mut, wie Herr Glover, uns über so entscheidende Faktoren des menschlichen Lebens mit derselben Leichtigkeit wie er hinwegzusetzen, sondern wir bekennen uns dazu, in ihnen in der Tat ungeheuer wichtige Umbildungsmöglichkeiten der menschlichen Charaktere in einer veränderten Gesellschaft zu erblicken. Dabei verstehen wir, dass die bürgerlichen Analytiker vor den Folgen konsequenten logischen Denkens zurückweichen und unbewusst gezwungen sind, einen Ausweg in der Richtung idealistischer, metaphysischer Gedankengänge zu suchen. Dass sie dabei die Grundlagen streng naturwissenschaftlicher klinischerArbeit verlassen, ist uns längst klar. Die Sexpol nimmt für sich in Anspruch, den Mut der Konsequenz zu besitzen und andererseits die Motive derjenigen zu durchschauen, die vor ihr zurückweichen.
3. Die Bedeutung der Psychoanalyse (soweit sie naturwissenschaftlich ist) für die Arbeiterbewegung ist in den Sexpol-Schriften eindeutig dargelegt worden. Freud selber hat sich wiederholt streng gegen die revolutionäre Nutzbarmachung seiner naturwissenschaftlichen Erkenntnisse ausgesprochen. Otto Fenichel kompliziert nun die klargestellte Situation dadurch, dass er der heutigen Psychoanalyse und Freudtheorie Stellungnahmen und Absichten zuschreibt, die die offizielle Organisation der Psychoanalyse ablehnt. Dadurch wirkt er nur verwirrend. Wir durften von Fenichel auf Grund seiner psychologischen Kenntnisse erwarten, dass er die Tragweite der unbeirrbar durchgeführten analytischen Arbeit erkennt. Er kann entweder kämpfend dafür eintreten oder sich abwartend verhalten. Auf jeden Fall aber muss eine Diskussion mit Menschen wie Glover, wenn man sich überhaupt darauf einlassen will, so geführt werden, dass die wesentlichen Abweichungen klar und deutlich herausgestellt werden. Die Sache ist ernst und zu wichtig, um mit diesem Bekenntnis der "Unwissenschaftlichkeit" abgetan zu werden. Es kommt auf ganz andere Dinge an als nur darauf, in akademischer Weise "nicht den Trugschluss zu ziehen, aus der Erkenntnis der Wirksamkeit unbewusster Triebe, die 'rationalisiert' werden, folge, alle andere reale Wirklichkeit wäre bedeutungslos und beeinflusst das menschliche Handeln nur insofern, als es zu Rationalisierungen dient."
Dieses andere ist die Befreiung der Menschheit vom Joche der Sexualanterdrückung. Ihr dient die Freud'sche naturwissenschaftliche Psychologie in bestimmten Grenzen und in einer ganz bestimmten Weise, gleichgültig ob Freud selber es wünscht oder ablehnt.
Die Psychologie greift immer mehr in das Geschehen unserer Zeit ein. Der Kampf um die korrekteste Anwendung der Psychologie im Ringen um die Befreiung der Menschheit von Irrsinn, Krieg, Verdummung, Unterdrückung erfordert höchste Klarheit, Mut, Ehrlichkeit oder bescheidene Zurückhaltung, wenn diese Eigenschaften nicht gegeben sind.