L S R
ein paraphilosophisches Projekt
nicht in der Zeit, aber -- an der Zeit

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  Der folgende Artikel erschien im Original im Januar 2008 in:
Aufklärung und Kritik. Zeitschrift für freies Denken und humanistische Philosophie.
Sonderband 14: Glück und Lebenskunst. Hg. v. Robert Zimmer. S. 64-84
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Bernd A. Laska

La Mettrie
ein gewollt unbekannter Bekannter

Zur Thematik "Aufgeklärter Hedonismus" und "Zweite Aufklärung"


La Mettrie? Oder Lamettrie? Ja, den kennt man. Natürlich. Das war Monsieur Machine, der Franzose, der das Buch L'homme machine geschrieben hat, im 18. Jahrhundert, der Mann, der den Menschen kurzum als Maschine betrachtete und deshalb als der erste "mechanistische Materialist" in die Ideengeschichte eingegangen ist.

Aber kennt man La Mettrie wirklich, wenn man ihn mit dieser extremen Position identifiziert? Und wenn nicht: Kann es lohnen, ihn näher kennenzulernen? Kann ein Materialist der Frühaufklärung uns Heutigen noch etwas sagen, das nicht in den zweieinhalb Jahrhunderten nach ihm -- gestützt durch die enormen Fortschritte in den empirischen Wissenschaften -- besser, klarer, richtiger gesagt worden ist?

Ich meine: ja, erstaunlicherweise ja. Denn La Mettrie hat noch einige andere, nach wie vor kaum bekannte Bücher geschrieben: L'École de la volupté (Schule der Wollust), Discours sur le bonheur (Rede über das Glück), L'Art de jouir (Die Kunst des Geniessens). Das sind augenscheinlich Texte zum Thema Hedonismus. Aber was kann La Mettrie, als Hedonist, uns heute, nach zweieinhalb Jahrhunderten Aufklärung, nach Feuerbach, Schopenhauer und Nietzsche, nach Freud, Kinsey und sog. sexueller Revolution, noch lehren?

Wer heute La Mettries Schriften über das Glück und die Wollust als eine Art Ratgeber liest, als Anleitungen zu einem glücklichen Leben oder zu vollendeter Lebens- und Liebeskunst, wird darin vermutlich wenig Neues finden. Vielmehr findet man dort Überlegungen darüber, warum solche Anleitungen wenig nutzen und kaum je bewirken können, was von ihnen erhofft wird. La Mettrie versucht zu ergründen, woher die Unfähigkeit -- nicht "des" Menschen, aber doch: -- der meisten Menschen stammt, genuine Wollust und genuines Glück in vollem Umfang zu empfinden bzw. zu erfahren. Er hätte den Fragesatz geprägt haben können: "Der Mensch wird glücksfähig geboren, doch überall lebt er im Unglück; wie ist es dazu gekommen?" La Mettrie fragt radikaler als Rousseau nach ihm: "Der Mensch ist frei geboren, doch überall liegt er in Ketten ... wie kam es zu dieser Umwandlung?" Radikaler als bei Rousseau wären auch die politischen Konsequenzen aus La Mettries Einsichten, die man zu Recht tiefenpsychologisch nennen kann: zum Unbewussten, zum Sexuellen, zur Gewissens- bzw. Über-Ich- Bildung. Ihretwegen ist La Mettrie in letzter Zeit gelegentlich als Vorläufer Freuds ausgezeichnet worden. (1) So richtig dies in speziellen Punkten sein mag: in genereller Hinsicht ist es falsch. La Mettrie würde der bekannten Grundauffassung Freuds, "die Absicht, dass der Mensch 'glücklich' sei, [ist] im Plan der 'Schöpfung' nicht enthalten", (2) widersprechen. Er hielt diese Frage offen.

Damit ist bereits die elementare Ebene erreicht, auf der zu prüfen wäre, ob La Mettrie uns heute -- möglicherweise für

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einen selbstkritischen Ansatz zu der oft für nötig befundenen "Zweiten Aufklärung" -- noch etwas lehren kann. Natürlich können Schriften, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts in feudalen gesellschaftlichen Verhältnissen entstanden sind, keine direkte Antwort auf Probleme des 21. Jahrhunderts geben. Ich möchte deshalb hier nicht ahistorisch und unvermittelt eine Darstellung von La Mettries Gedanken zum Hedonismus geben und sie mit dem heute verbreiteten "real existierenden" Hedonismus konfrontieren. Die Rezeptionsgeschichte der Gedanken La Mettries erscheint mir für ihr Verständnis unverzichtbar, denn sie zeigt zweierlei: dass diese Gedanken immer wieder kurzschlüssig missverstanden und in eine bereits bestehende Schublade -- unter "mechanistischer Materialismus", "Atheismus", "Nihilismus" -- abgelegt wurden; und dass dies bei vielen Autoren mit einer unaufgedeckten, uneingestandenen, vielleicht auch unbewussten Absicht geschah. Es gibt also ausser den eigentlichen Gedanken La Mettries noch einen hochinteressanten "Fall" La Mettrie. Dieser erstreckt sich zeitlich über mehr als zweieinhalb Jahrhunderte: von der konspirativ anmutenden Ächtung und Tabuisierung des Aufklärers durch die zeitgenössischen Kollegen über die spät einsetzenden Bemühungen um eine zwiespältige Teil-Rehabilitation bis zu verfehlten Vereinnahmungen in unseren Tagen. Stets handelte es sich um Manöver, die so oder so der Abwehr und Verdrängung von La Mettries Vorstellungen von Hedonismus und deren praktischen Konsequenzen galten.

Nicht nur, um Zweifel an dieser kurzen Charakteristik der Re(pulsions- und De)zeptionsgeschichte zu zerstreuen, erscheint es mir notwendig, sie in ihren wesentlichen Stationen darzustellen. Dies ist auch die beste Propädeutik für das Verständnis von La Mettries allenthalben unwillkommenem "aufgeklärten Hedonismus". Erst die Kenntnis der verschiedenen, manchmal recht raffinierten, bis in unsere Tage reichenden Ausweich- und Verdrängungstaktiken gegenüber diesem Hedonismus weckt, nährt und steigert den Verdacht, dass es hier tatsächlich etwas zu entdecken gibt, das nicht nur historische Bedeutung hat. Aktualisierbar ist La Mettries Position am ehesten dann, wenn die heutige Situation aus "aufklärerischer" Sicht als hochproblematisch empfunden und der "real existierende" Hedonismus mit Unbehagen und Skepsis betrachtet wird, nicht zuletzt deshalb, weil in ihm die Aufklärungsresistenz und Rückwendung zur Religion angelegt sind.

Zur Vergegenwärtigung und einführenden Orientierung zunächst die wichtigsten biographischen Daten: Julien Offray de La Mettrie wurde 1709 in Saint Malo in der Bretagne geboren. Er studierte Medizin in Paris, in Rennes (wo er 1736 promovierte) und im niederländischen Leiden (bei Boerhaave, dem damals führenden Mediziner). Seit etwa 1736 praktizierte er als Arzt, zivil und im Krieg. Zur gleichen Zeit begann er seine schriftstellerische Tätigkeit mit kommentierten Übersetzungen der medizinischen Werke seines Lehrers Hermann Boerhaave ins Französische. Daneben verfasste er kleinere medizinische Abhandlungen und eine Reihe von polemischen Schriften, in denen er die Geschäftspraktiken der etablierten französischen Ärzteschaft aufs Korn nahm. Seine philosophischen Schriften entstanden in dem kurzen Zeitraum von 1745 bis zu seinem frühen Tod

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1751, also viele Jahre vor den Werken der anderen Autoren des "französischen Materialismus", dem La Mettrie meist zugerechnet wird. Ihre Titel lauten:

Histoire naturelle de l'âme -- Naturgeschichte der Seele 1745 (L'École de) la volupté -- (Schule der) Wollust 1745, 1746, 1747 L'homme machine -- Der Mensch eine / als Maschine 1747 (1748) L'homme plante -- Der Mensch als Pflanze 1748 L'homme plus que machine -- Der Mensch mehr als Maschine 1748 Discours sur le bonheur -- Rede über das Glück 1748, 1750, 1751 Les animaux plus que machines -- Die Tiere mehr als Maschinen 1750 Le Système d'Épicure -- Epikurs System 1750 Discours préliminaire -- Vorrede (zu den Œuvres philosophiques) 1750 L'art de jouir -- Die Kunst zu geniessen / Die Kunst, Wollust zu empfinden 1751 (3)

La Mettrie musste wegen der Histoire naturelle de l'âme aus Frankreich fliehen, und wegen des L'homme machine auch aus dem liberalen Holland. Anfang 1748 fand er ein Asyl am Hofe Friedrichs II, wo er bis zu seinem Tode 1751 lebte.

Schon die Titel einiger dieser meist eher kurzen (4) Schriften bekunden, dass der Satz "Der Mensch [ist] eine Maschine" nicht, wie es der Hauptstrom der akademischen Philosophie tut, als Essenz seiner Philosophie zu nehmen ist. Zieht man zudem das satirische Temperament La Mettries in Betracht, das in all seinen Büchern und in zahlreichen separaten Pamphleten zum Ausdruck kam, (5) vor allem auch den polemischen Impetus, mit dem er publizierte, so wird deutlich, wie verfehlt eine Rezeption dieses Autors ist, die ihn auf einen kruden "mechanistischen Materialismus" reduziert.

Und doch war es bis Mitte der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts so. Einzig La Mettries kleine Schrift L'homme machine wurde immer wieder neu herausgegeben: ab 1865 in Frankreich, ab 1875 in deutscher Übersetzung. La Mettries andere Schriften blieben weitgehend vergessen. Seine Œuvres philosophiques wurden zwei Jahrhunderte lang nicht mehr gedruckt; erst 1970 erschien ein reprographischer Nachdruck einer Ausgabe von 1774. Eine vierbändige deutsche Werkausgabe mit den wichtigsten Schriften in Erstübersetzung erschien 1985, bemerkenswerterweise im Selbstverlag des Herausgebers und Übersetzers (des Autors dieses Artikels). Deren Band 1, Der Mensch als Maschine, ist trotz zweier konkurrierender Ausgaben der bei weitem gefragteste Titel, was deutlich zeigt, dass man in La Mettrie noch immer vorwiegend Monsieur Machine sieht, einen der "französischen Materialisten", den radikalen "mechanistischen Materialisten".

Die Maschinenmetapher ist durch ständige Wiederholung derart mit La Mettrie verschmolzen, dass selbst ausgewiesene Spezialisten, die gezeigt haben, dass sie eine tiefer gehende Kenntnis von La Mettries Werk haben, der Magie dieser Metapher erliegen und, indem sie sie im Titel verwenden, dabei sogar den Inhalt ihrer differenzierteren Abhandlungen konterkarieren. Ein Beispiel: Ursula Pia Jauch, die Verfasserin einer 600-seitigen Monographie über La Mettrie, hielt den Festvor-

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trag zu einer wissenschaftlichen Tagung über La Mettrie -- der weltweit ersten überhaupt -- unter dem Titel Herr Maschine im Jenseits von Gut und Böse. (6) Der darin anklingende Unernst ist, neben dem Spiel mit der mechanistischen Reduktion, ein weiterer Zug der neueren Rezeption La Mettries, die auf leichtfertigen Interpretationen der Rolle La Mettries als Hofnarr Friedrichs II und der ironischen Passagen in seinen Schriften beruht. (7)

La Mettrie wurde im Laufe der Zeit in diese oder jene philosophische Kategorie eingeordnet, oft mit den Beiworten "radikal", "konsequent", "extrem". So galt er als Naturalist, Physikalist, Mechanist, Empirist, Spinozist, Sensualist, Monist, Materialist, Atheist. Als Karl Popper sich diesen "berühmtesten aller Materialisten" einmal genauer ansah, war er überrascht und fand, dass La Mettrie "eine Art empirischer und naturalistischer Auffassung [vertrat], in der auch evolutionäre Emergenz einen Platz hatte (... die an den Epiphänomenalismus angrenzt)." La Mettrie sei, so Popper, gar kein radikaler Materialist gewesen, denn er habe das subjektive Erleben nicht bestritten. Man könne ihn auch als einen Interaktionisten auffassen, und als "Vitalisten hinsichtlich der Physiologie der Tiere (im Gegensatz zu Descartes)." (8) La Mettries Status als "Materialist" ist, das zeigt dieses Zitat beispielhaft, bis heute diffus und widersprüchlich geblieben -- was auch an La Mettrie liegt, der solche Kategorisierungen nicht allzu ernst nahm und manchmal mit ihnen sein ironisches Spiel trieb.

Dieser Stand der Dinge braucht nicht zu entmutigen. Es gibt einen Zugang zum Werk La Mettries, bei dem die ungeklärten fachphilosophischen Fragen seiner kategorialen Zugehörigkeit ausser Acht gelassen werden können und der dafür zu einer Antwort auf die eingangs gestellte Frage führt, was denn damals -- und heute noch immer -- unter aufgeklärtem Hedonismus verstanden werden könnte. Es ist der schon genannte Königsweg über die kritische Untersuchung der Reaktionen auf La Mettries Publikationen, dessen hauptsächliche Stationen nachfolgend skizziert werden.

Die Geschichte dieser Reaktionen lässt sich in vier Phasen unterteilen:
1) 1745 bis 1748: La Mettrie wird als materialistischer und atheistischer Philosoph zwar von Klerus und staatlicher Zensur verfolgt, geniesst aber in aufklärerischen Kreisen hohes Ansehen.
2) Ab 1749: La Mettrie verliert aufgrund seines Discours sur le bonheur seine Reputation, auch und insbesondere bei den Aufklärern, die ihn wegen dieses Buches zu einer Unperson machen; Ende des 18. Jahrhunderts ist er weitgehend vergessen.
3) Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wird der totgeschwiegene und dann vergessene La Mettrie wiederentdeckt. Es erscheinen von nun an immer wieder Arbeiten, die zwar auf eine Rehabilitation des verfemten Denkers abzielen, den Grund der einstigen Verfemung aber mehr oder weniger akzeptieren.
4) Ab 1985 wird La Mettrie, im Rahmen des sog. LSR-Projekts, als eine von drei Schlüsselfiguren untersucht, deren Schicksal Aufschluss über die tieferen Gründe des seit Mitte des 20. Jahrhunderts wahrgenommenen enttäuschenden Ergebnisses der neuzeitlichen Aufklärung geben soll.

In der ersten Phase waren es zunächst La Mettries 1745 erschienene Bücher

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L'histoire de l'âme und La volupté -- seine Ärztepolemiken können hier ausser Acht bleiben --, die zum einen wegen materialistischer Tendenz und Leugnung der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, zum anderen wegen Libertinage und Unterminierung von Sitte und Moral der Zensur zum Opfer fielen und in Paris öffentlich verbrannt wurden. Die Anonymität des Autors war offenbar kein wirksamer Schutz vor Verfolgung, denn La Mettrie floh daraufhin aus Frankreich und liess sich in Holland nieder, dem traditionell liberalen Land, in dem die verbotenen Schriften für ganz Europa gedruckt wurden. Dort veröffentlichte er Ende 1747, vorsorglich wiederum anonym, den L'homme machine, eine kurze Schrift, knapp hundert Seiten im Duodezformat, auf denen er das Leib-Seele- Problem nach neuestem Stand der Naturwissenschaften diskutiert. Die vermutlich "anstössigste" Stelle war die, wo er einen ironischen Dialog mit einem gleichgesinnten Freunde fingiert. Dieser "entsetzliche Mensch", berichtet er, habe zwar an allem gezweifelt, aber doch in einem Punkte eine feste Überzeugung gehabt, nämlich, "dass die Welt niemals glücklich sein wird, wenn sie nicht atheistisch ist." (MM, 66) Diese Auffassungen gingen allerdings auch dem holländischen Liberalismus, der konfessioneller Pluralismus war, entschieden zu weit. Erneut bedroht an Leib und Leben, kam für La Mettrie eine Einladung Friedrichs II. zur rechten Zeit. Im Februar 1748 traf er am Potsdamer Hof des preussischen Königs auf Schloss Sanssouci ein. La Mettrie wurde Friedrichs Leibarzt, Vorleser und Gesellschafter, und er nahm an dessen Tafelrunde berühmter Freigeister teil. Bald wurde er in die Preussische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Das Wichtigste: er sollte unbehelligt von jeglicher Zensur publizieren können. In einem Brief vom 18. Oktober 1748 schrieb Friedrich an Maupertuis, den Präsidenten der Akademie: "Ich freue mich, den La Mettrie für meinen Hof angeworben zu haben. Er hat all den Frohsinn und all den Geist, den man überhaupt nur haben kann."

Festzuhalten ist für diese erste Phase: zum einen, dass der materialistische und atheistische Philosoph La Mettrie, Autor des L'homme machine, zwar von Klerikalen und der staatlichen Zensur verfolgt worden war, in der aufklärerisch gesinnten Gesellschaft um Friedrich II. aber einen angesehenen Platz innehatte; zum anderen, dass das Akademiemitglied La Mettrie von niemandem auf Schloss Sanssouci als Hofnarr angesehen wurde.

Diese erste Phase der Reaktionen endete mit dem schlagartigen Verlust des Ansehens, das La Mettrie bei den Freidenkern und Aufklärern hatte. Der Grund dafür war eine einzige Schrift: sein Discours sur le bonheur, die Rede über das Glück, die Ende 1748 erschien. Die Entstehungsgeschichte dieses Werks ist eine genauere Betrachtung wert. Offenbar, weil La Mettrie aus seinen Gedanken und publizistischen Plänen kein Geheimnis machte, hat man ihm schon im Sommer 1748 eine Form der internen, vorbeugenden Zensur auferlegt: "Er hatte mir versprechen müssen", schrieb später der Akademiepräsident Maupertuis in einem Brief, "sich bloss an Übersetzungen zu begnügen, weil ich ihn dazu für fähiger hielt, und dadurch seine gefährliche Einbildungskraft einzuschränken glaubte." (KW, 119) La Mettrie musste, da ihm kein anderer Zufluchtsort mehr offen stand, diese demütigende

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Bedingung akzeptieren. Aber er wollte sich nicht davon abhalten lassen, jenes Buch zu schreiben, das er später als sein Hauptwerk bezeichnen wird. In seiner "kleinen Schrift", dem L'homme machine, sagt er, habe er noch "nicht gewagt, gegen alle Vorurteile auf einmal anzutreten." (AS, 63) Zumindest ein "Vorurteil", das grösste von allen, das auch die Freigeister seiner Meinung nach pflegten, wollte er noch attackieren.

Als sein "Aufpasser" Maupertuis Anfang Oktober 1748 für eine mehrmonatige Reise Berlin verliess, sah La Mettrie seine Stunde gekommen: Er erstellte, wie man ihm geheissen hatte, eine Übersetzung von Senecas De beata vita, dies aber nur, um sie mit einer "Rede des Übersetzers zum gleichen Thema" als Einleitung zu versehen; denn das hatte man ihm nicht ausdrücklich verboten. Diese Rede hatte freilich mit Seneca nur indirekt zu tun und war in Wahrheit sein geplantes Hauptwerk, der Discours sur le bonheur. Mit einigen nicht unriskanten Manövern gelang es La Mettrie, das Manuskript zum Druck bringen, ohne dass Friedrich davon erfuhr. Alles geschah innerhalb weniger Wochen, so dass Ende 1748 vollendete Tatsachen geschaffen waren: die Buchhändler waren beliefert.

Die Situation war verzwickt und ohne Präzedenz. Offiziell galt im Reich des "Philosophen auf dem Königsthron" die Zensur nicht für Schriften rein philosophischen Inhalts. Akademiemitglieder unterlagen zwar einer informellen, offenbar bisher genügend wirksamen Aufsicht. La Mettrie hatte aber, weil er wusste, dass er diese neue Schrift sonst nicht hätte publizieren dürfen, diese Aufsicht überlistet. Der König fühlte sich von seinem Gesellschafter brüskiert; Maupertuis, der La Mettries Schreiben kontrollieren sollte, war abwesend; die Lage war prekär, am meisten natürlich für La Mettrie, der so tat, als sei er sich seines Vergehens nicht bewusst gewesen, und sich von da an in die Rolle des Hofnarren flüchtete. La Mettries neue Schrift jedenfalls schien, anders als der materialistisch-atheistische L'homme machine, nicht mehr tolerierbar zu sein. Die Reaktionen waren unisono ablehnend.

Was war der Grund für die einhellige Ablehnung dieses Buches "über das Glück", deren Geschichte unten noch in groben Zügen zu schildern sein wird? La Mettrie hatte in einigen Büchern zuvor immer wieder einmal über das Glück geschrieben, über dessen verschiedene Quellen, die internen und die externen, über Tugend und Laster etc. Dabei knüpfte er oft an antike Autoren an, auch an jüngere französische, affirmativ oder kritisch, zustimmend oder polemisch. Oft waren seine vordergründig harmlosen Betrachtungen in Ironie verpackte Attacken auf konventionelle Moral und Politik. Für diese Schriften wurde er in freisinnigen Kreisen geschätzt; sie taten jedenfalls seinem Renommée als Wissenschaftler und Philosoph keinen Abbruch. Aber dies war auch eine Schriftstellerei, auf die er sich nicht viel zugute hielt. Seine neue Schrift jedoch, für deren Publikation er die Sicherheit seines letzten Asyls riskierte, war ihm die ernsteste und wichtigste. Sie ist die einzige, für deren theoretischen Gehalt -- seine théorie des remords / Theorie des Schuldgefühls -- er Originalität beanspruchte.

Die Kernidee von La Mettries Theorie des Schuldgefühls lässt sich treffend unter den

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Titel Negation des irrationalen Über-Ichs (9) bringen, weil der (erst 1923 von Freud eingeführte) Begriff des Über-Ichs, auch wenn er hier vage bleiben muss, sich bestens eignet, heute eine Vorstellung von La Mettries mit Begriffen seiner Zeit beschriebenen Auffassung zu vermitteln.

La Mettrie ging von der Beobachtung aus, dass es nur sehr wenigen Menschen gelingt, einen aufgeklärten Status zu erreichen, d.h. "die Vorurteile der Kindheit abzulegen und die Seele mit der Fackel der Vernunft zu reinigen." (AS, 22) Er sprach das Offenkundige aus: dass dies nicht an mangelnder Intelligenz oder bösem Willen liege und die Resistenz gegen Aufklärung tiefer im Organismus verankert sei -- "denn man entledigt sich nicht auf blosse Lektüre hin jener Prinzipien, die einem so selbstverständlich sind, dass man sie für natürliche hält." Im Gegenteil, der scharfe Intellekt fungiere oft als virtuose Abwehr von vernünftigen Einsichten, wenn diese den Seelenfrieden des in Vorurteilen Befangenen bedrohen. (PP, 27f) Wenn aber jemand die Vernunft abwehrt, weil sie sein Wohlbefinden stört, liege das daran, dass seine Seele früh entsprechend "gebeugt" worden ist. Hier, in der Erziehung, in der schon mit der Geburt einsetzenden Enkulturation des Menschen, sah La Mettrie die Wurzel des Übels der Glücksunfähigkeit und Aufklärungsresistenz. (AS, passim, 21, 70)

Enkulturation und Erziehung sind, wie La Mettrie natürlich wusste, für den Menschen so lebensnotwendig wie unvermeidbar. Aber gerade das, was allgemein als ihr wichtigster Effekt angesehen wird, die weitgehend "unbewusst und ungeprüft" erfolgende Weitergabe von Wert- und Charakterhaltungen -- also die Errichtung eines Über-Ichs, welche das werdende Ich als innere Instanz "über sich" bereits vorfindet, wenn es sich zu entfalten beginnt -- bezeichnet La Mettrie als "unheilvollste Mitgift", als "Unkraut im Kornfeld des Lebens", als "grausames Gift", das dem Menschen "das Leben vergällt". Warum? Weil es in aller Regel ihm die Fähigkeit zu authentischem Glückserleben beeinträchtigt und ihm den Weg versperrt, die "Kunst, Wollust zu empfinden" auszubilden. La Mettries Fazit: "Den ärgsten seiner Feinde trägt der Mensch also in seinem Inneren." (AS, 53-63)

Es liegt auf der Hand, dass es bei dem Prozess der Enkulturation zunächst gar nicht um die Einpflanzung von bestimmten, konkreten Wertvorstellungen geht; es geht um die psycho-physiologische Modifikation des Organismus ("eingeprägt wie ein Petschaft in weiches Wachs"), um die Zurichtung und "Beugung der Seele" zwecks Einpassung in die bestehende Kultur, die wahrer Wollust (s.u.) ebenso feindselig gegenüber steht wie wahrer Vernunft. (AS, 53-63) Das Fatale: die auf diese -- präkognitive, irrationale -- Weise erfolgende Errichtung eines Über-Ichs erzeuge sogar, als Nebenwirkung, erst viele jener "Triebe", zu deren Niederhaltung das irrationale Über-Ich (mittels Schuldgefühl, remords) offenkundig später oft gar nicht in der Lage ist.

Diese seit Urzeiten "normale" Schädigung der Individuen hat natürlich soziale Konsequenzen. Deshalb meinte La Mettrie auch, "dass die Welt niemals glücklich sein wird, solange sie nicht atheistisch ist" (MM, 66), letzteres verstanden im Sinne von "ohne irrationales Über-Ich" (denn die

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Frage nach der Existenz "Gottes" -- die heute, nach fast drei Jahrhunderten Aufklärung, wieder mit grossem Ernst diskutiert wird -- war für La Mettrie sinnlos). In diesem Sinne ist auch seine Forderung zu verstehen, dass "die Religion samt allen ihren [säkularen] Ablegern vernichtet und mit der Wurzel ausgerottet" werde, damit die Menschen "allein der spontanen Stimme ihres authentischen Ichs folgen." (MM, 66) Unbehindert durch ein irrationales Über-Ich wären sie in der Lage, einem rationalen Über-Ich, einer vernünftigen Ethik gemäss zu leben. Der nicht gebeugten Seele erschlösse sich "eine ganz andersartige Quelle der Tugend, die ... innere Stärke." (AS, 72) La Mettrie hielt es für grundfalsch, zu glauben, dass der Menschen "Sinn für Ehrlichkeit, Redlichkeit und Gerechtigkeit nur noch an einem dünnen Faden hinge, wenn sie von den Ketten des Aberglaubens befreit wären." (PP, 75) Im Gegenteil: erst dann könnten diese Tugenden sich voll entfalten. "In einer vernünftigen Seele vereinigen sich Pflichtbewusstsein und Sensibilität für Lust so vorzüglich, dass sie, weit davon entfernt, einander zu beeinträchtigen, sich gegenseitig verstärken." (AS, 103)

Die "Sensibilität für Lust" steht in La Mettries Anthropologie an zentraler Stelle; sie ist die materielle Entsprechung zur Freiheit von einem irrationalen Über-Ich und Garant für ein rationales. La Mettrie schrieb sein Buch "Die Kunst, Wollust zu empfinden" nicht, wie man vom Titel her vermuten könnte, als eine ars amandi der damals verbreiteten Art -- er spricht im Gegenteil mit Geringschätzung vom "Lebemann" und seinen "Techniken des Vergnügens" (AS, 111) -- sondern als einen Text, in dem er explizit auf das Sexuelle, ein "in seiner Bedeutung kaum zu überschätzendes Thema", eingeht und eine für seine Philosophie unabdingbare Unterscheidung deutlich machen will. (AS, 105ff) La Mettrie sagt hier noch einmal mit grossem Nachdruck, dass der Wollüstige (voluptueux) und der Wüstling (débauché) in Bezug auf die Art ihres Lustempfindens als Gegensätze zu betrachten sind -- weshalb Sade und La Mettrie, auch wenn beide Atheisten und Materialisten sind, auf einer fundamentaleren, konkreteren Ebene Antipoden sind. Wenn La Mettrie von Wollust spricht, dann meint er Wollust als "eine wahrhaftige Ekstase ... die nur der Wollüstige, nicht der Wüstling, erleben kann." (KW, 61) Er meint hier einen qualitativen, keinen bloss graduellen Unterschied im Lusterleben. Der Wüstling hat, wie jeder "Normale", die (bislang immer repressive) Moral seiner Gesellschaft verinnerlicht, nur dass er zwanghaft ihre Regeln verletzt. Das Lusterleben des Wüstlings ist, da seine Seele "gebeugt" wurde, tatsächlich "wüst", d.h. öde, und von den Normen jener Moral, die auch ihm im Grunde heilig ist, insofern abhängig und bestimmt, als es sich primär aus deren Schändung speist. Die Lust des Wüstlings ist eine andere als die des Wollüstigen; sie ist, so könnte man formulieren, nicht Wo(h)l-Lust, sondern Wüst-Lust oder, wegen ihrer negativen Fixierung auf die geltende Moral, Bös-Lust. Der Wüstling ist ihr verfallen, ist nach ihr süchtig. Seine "Begierden, die einer übersteigerten Phantasie entspringen", (AS, 106) sind unersättlich, unbefriedigbar. Der Wollüstige hingegen ist, da seelisch unversehrt, auch in seiner Fähigkeit zum Lusterleben unversehrt und deshalb befriedigbar.

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Damit begann die zweite Phase der Reaktionen auf La Mettrie. Eine Schrift, die derartige Ansichten enthält, war auch in Friedrichs Preussen, wo philosophische Bücher bisher nicht zensiert wurden, nicht tolerierbar. Hochgestellte Persönlichkeiten forderten sofort nach Erscheinen ihre Konfiszierung, da sie "von sehr gefährlicher Folge für die Untertanen" sei. (10) Der König war der gleichen Meinung, aber etwas im Zwiespalt, weil der Autor ihm persönlich nahe stand. Er handelte aber sofort, als der Akademiepräsident Maupertuis von seiner Reise zurück war, und erliess am 11. Mai 1749 das "Edict wegen der wieder hergestellten Censur..." Es scheint evident, ist aber nicht ausdrücklich belegt, dass La Mettries Buch der entscheidende Grund dafür war.

Dennoch gelang es dem unbotmässigen Autor, seine "Vorrede" unter dem Titel Anti-Sénèque ou Le souverain bien (Anti- Seneca oder Das Höchste Gut) zweimal separat drucken zu lassen. Als der erste dieser Drucke im Oktober 1750 erschien, erzürnte dies den König so sehr, dass er, wie der junge Lessing -- übrigens hocherfreut -- seinem Vater berichtete, eigenhändig zehn Exemplare davon ins Feuer warf. (11) Für den zweiten Separatdruck, der im August 1751 erschien, schrieb La Mettrie ein Vorwort, in dem er die Reaktionen auf die beiden früheren Ausgaben kommentiert. "Es gibt kein Buch", schreibt er dort, "das die Frommen je so in Wut gebracht hätte wie das vorliegende." (AS, 5) Die Frommen, damit meinte er jetzt weniger die Klerikalen, die gar nicht seine Adressaten waren, sondern, freilich ohne Namen zu nennen, die Freidenker und Aufklärungsfreunde, etwa seinen erbosten Schutzherrn Friedrich; und Lessing, der den Discours als "Abscheulichkeit" bezeichnete und L'art de jouir als "geiles Geschwätz" und "Porneutik"; (12) und Voltaire, der seine einflussreiche Meinung in zahlreichen Briefen verbreitete, so z.B.: "Ohne dass es ihm bewusst geworden wäre, hat er eben ein schlechtes Buch geschrieben ... darin verunglimpft er die Tugend und das Gewissen, lobt das Laster ... Vernünftige Leute haben sich nun darangemacht, ihm die Absonderlichkeit seiner Moral aufzuzeigen. Er war sehr erstaunt, er weiss nicht, was er geschrieben hat, und wenn man will, wird er morgen auch das Gegenteil davon schreiben." (13)

La Mettrie sah jedoch, wie er in dem Vorwort bekräftigte, gerade dieses Buch als sein Hauptwerk an. Die inkriminierten Ansichten über Tugend und Laster, die er darin vertrete, hätten vor ihm schon viele Autoren geäussert, antike ebenso wie jüngere französische. Priorität beanspruche er jedoch für seine im Discours dargelegte Theorie des Schuldgefühls, für seine Lehre von den "Gewissensbissen", vom Schuldgefühl, modern: vom Über-Ich. (AS, 11) (14) Da diese Lehre in engem Zusammenhang mit seiner Auffassung vom Sexuellen steht, kann La Mettries Schrift L'art de jouir, eine Neufassung von La Volupté, die er ebenfalls noch 1751 zum Druck gebracht hat, mit gutem Grund als zweiter Band des Hauptwerks angesehen werden -- wofür auch spricht, dass diese beiden Bücher die einzigen sind, die La Mettrie ins Deutsche übersetzen liess. Sie erschienen, ebenfalls noch kurz vor seinem Tod, 1751, unter den Titeln Das höchste Gut oder Gedanken über die Glückseligkeit und Die Kunst, Wollust zu empfinden, waren aber aufgrund sofortiger zensorischer Repression lange Zeit verschollen und wurden erst Ende des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt.

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Zuvor hatte man, wie im zitierten Voltaire-Brief anklingt, La Mettrie genötigt, sich von seinem Discours zu distanzieren. Dies fand seinen klarsten, gleichwohl indirekt bleibenden Ausdruck darin, dass man den erst vierzig Jahre alten und erst seit fünf Jahren philosophisch schreibenden Autor dazu brachte, seine gesammelten Œuvres philosophiques in kastrierter Form herauszubringen: in diesem aufgenötigten philosophischen Testament fehlten ausgerechnet seine beiden Hauptwerke, der Discours und die L'art de jouir.

La Mettries Situation war also seit Ende 1748 äusserst prekär. Hatten Friedrich und die Freigeister seiner berühmten Tafelrunde von Sanssouci La Mettries Philosophie des L'homme machine teils geschätzt, teils akzeptiert oder zumindest toleriert, so galt dies für den Discours nicht mehr, zumal der Autor renitent war und das unerwünschte Buch mit einiger List noch zweimal zum Druck brachte. Dass die Rolle des Hofnarren, in die er geflohen war, ihm keinen dauerhaften Schutz bot, war La Mettrie klar. In der dritten Version des Discours, im August 1751, spricht er offen von seiner Befürchtung, dass "eines Tages der Schierlingsbecher der Lohn meines philosophischen Mutes sein würde." (AS, 93) In einer kleinen Schrift, die zur gleichen Zeit erschien, äussert er sich ähnlich. (KW, 90f) Drei Monate später, am 11. November 1751, starb er. Die Todesursache wurde nie geklärt. Kolportiert wurde indes gern, der Hedonist sei Opfer seiner Fresslust geworden ("Pastetentod").

Für Voltaire, der seit Juni 1750 ebenfalls an Friedrichs Hof weilte, war das kein Trauerfall. Er verbreitete die Nachricht in Briefen, die grossen Einfluss auf das Bild hatten, das von La Mettrie entstand. An Richelieu: "Dieser La Mettrie ... mitsamt seiner strotzenden Gesundheit und seinen verrückten Ideen, er ist soeben zu Grunde gegangen, weil er aus Prahlsucht eine ganze getrüffelte Fasanenpastete gegessen hat ... voilà, eine unserer perfektesten Farcen." (15) Auch dass man La Mettries Wunsch ignorierte, nicht in geweihter Erde begraben zu werden, kommentierte Voltaire mit hämischer Genugtuung: "Sein Körper, aufgedunsen und dick wie ein Fass, wurde, ob er wollte oder nicht, in der katholischen Kirche beigesetzt; er wird staunen, sich dort wiederzufinden." (16) In einer Reihe weiterer Briefe verfestigte er das Bild von La Mettrie als einem Narren, der oft in betrunkenem Zustand schrieb.

Friedrich revanchierte sich für La Mettries Widersetzlichkeiten postum: mit einer längeren Lobrede, Éloge de La Mettrie, die in der Akademiesitzung vom 19. Januar 1752 verlesen wurde. Über weite Strecken ist sie rein biographisch, an etlichen Stellen aber voll des Lobes für die Fähigkeiten und den Charakter des Arztes und Philosophen. Über dessen Zeit an seinem Hof fasst er sich jedoch sehr kurz. La Mettrie habe dort vor allem vorzügliche medizinische Abhandlungen verfasst. Den gravierenden Konflikt um den Discours kaschiert er in zwei Sätzen, deren Zynismus vielen verborgen blieb: "Er entwarf auch mehrere Werke über abstrakte philosophische Gegenstände, wollte sie aber noch einer näheren Prüfung unterziehen. Durch eine Reihe schicksalhafter Fügungen, die ihm widerfuhren, kamen diese Schriften dann abhanden; doch als sie wieder auftauchten, verlangte er selbst ihre Unterdrückung." (17)

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Von den Enzyklopädisten resp. philosophes sind keinerlei Reaktionen auf La Mettries Tod überliefert. Auch später, als sich einige, vor allem Diderot und Holbach, zu Materialisten und Atheisten entwickelt hatten, erwähnten sie weder ihn noch sein Werk in ihren Schriften, Briefen oder Manuskripten. Diese "Nacht eines konspirativen Schweigens ... der materialistischen Gesinnungsgenossen" erschien späteren Ideenhistorikern, insbesondere den Kennern der Epoche, als "völlig rätselhaft". (18) Allein Diderot hatte, kurz vor seinem Tod, ein einziges Mal die Contenance verloren: "La Mettrie ist ein Autor ohne Urteilskraft ... Man erkennt die Oberflächlichkeit seines Geistes in dem, was er sagt, und die Verdorbenheit seines Herzens in dem, was er nicht zu sagen wagt. ... La Mettrie, sittenlos und schamlos, ein Narr und ein Schmeichler, war wie geschaffen für das Hofleben und die Gunst der Grossen. Er ist so gestorben, wie er sterben musste: als Opfer seiner Masslosigkeit und seiner Verrücktheit. Da er in seiner Profession [Arzt] ein Stümper war, tötete er sich selbst. Dieses Urteil ist hart aber gerecht; es war gewiss nicht leicht, diesem Lobredner des Lasters und Verächter der Tugend gegenüber massvoll zu bleiben." Der führende Kopf der philosophes fühlte sich ermächtigt, ja verpflichtet, "einen in seinen Sitten und Anschauungen so verdorbenen Menschen aus der Gemeinschaft der Philosophen auszuschliessen." (19)

Diese Passage ist ein höchst bemerkenswerter Beleg, zum einen, weil dies die einzige Äusserung über La Mettrie aus den Reihen der philosophes ist und für deren verschwiegene Einstellungen repräsentativ sein dürfte, zum anderen, weil sie zeigt, dass selbst nach drei Jahrzehnten disziplinierten Totschweigens noch immer gewaltige emotionale Energie hinter der La- Mettrie-Feindschaft steckte. Der Hauptgrund dafür kann nicht der sein, den Diderot und spätere Ideenhistoriker anführten: dass "die Feinde der Philosophie ihn [La Mettrie] immer wieder zusammen mit jenen weisen und aufgeklärten Menschen nennen, deren Leben in der Suche nach Wahrheit und in der Ausübung der Tugend aufgeht." (20) Der wahre Grund für den stillschweigenden Schulterschluss aller Aufklärer, Rousseau eingeschlossen, gegen La Mettrie muss sehr viel tiefer liegende Gründe gehabt haben, über die ich weiter unten einige Vermutungen äussern werde. La Mettrie war den Aufklärern seiner Generation Unperson, den nachfolgenden ein Vergessener.

Zwar wurden La Mettries Œuvres philosophiques im 18. Jahrhundert noch einige Male neu aufgelegt, sogar mit dem verpönten Discours, doch eine seriöse Rezeption der Ideen La Mettries gab es nicht, weder in Frankreich noch in Deutschland. Während die massgeblichen Köpfe, auch diesseits des Rheins, sich für Autoren wie Diderot und Rousseau begeisterten, sie übersetzten und diskutierten, war ihnen von La Mettrie nur ein grobes Zerrbild geläufig. Wenn sie ihn erwähnten, dann ganz am Rande und oft voller Abscheu: ein Geck, ein Affe Demokrits, ein Narr (Herder); ein unsauberer Geist (Gellert); einer, der den Menschen "in das alte barbarische Dunkel tierischer Wildheit" zurückstossen will (Schiller); einer, dessen Gesicht verrate, so der Physiognom Lavater, dass er "den letzten Tropfen Religionsgefühl für Wollust hingegeben" habe. (21)

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Als in Deutschland, nach der Blütezeit des Deutschen Idealismus, mit Ludwig Feuerbach erstmals ein Denker des Materialismus hervortrat, da hegte er ähnliche Ansichten und verwahrte sich vehement gegen polemische Unterstellungen: "Es ist nichts verkehrter, als wenn man den deutschen Materialismus vom Système de la Nature [Holbachs] oder gar von der Trüffelpastete La Mettries ableitet. Der deutsche Materialismus hat einen religiösen Ursprung..." (22) Ein Verehrer Feuerbachs, Hermann Hettner, verbreitete diese Meinung in seiner vielgelesenen Literaturgeschichte in deutlicheren Worten: "La Mettrie ist ein frecher Wüstling, welcher im Materialismus nur die Rechtfertigung seiner Liederlichkeit sieht." (23) So ähnlich dürften die meisten Materialisten, Monisten und Positivisten des 19. Jahrhunderts über La Mettrie gedacht haben. Eine Ausnahme war Emil DuBois-Reymond, der allerdings schon in die dritte Phase gehört. (24)

Die dritte Phase der Reaktionen auf La Mettrie begann, ohne dass die zweite beendet wurde, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und dauert bis heute an. Sie ist durch Rehabilitationsbemühungen gekennzeichnet. Der Neukantianer Friedrich Albert Lange widmete 1866 La Mettrie in seiner berühmten "Geschichte des Materialismus" (25) ein langes Kapitel, in dem er mit den verbreiteten grob fehlerhaften Darstellungen seiner philosophischen Leistungen gründlich aufräumt. Lange betont die naturwissenschaftliche Bildung La Mettries sowie die Ernsthaftigkeit und den Scharfsinn seiner Argumentation, und er stellt fest, dass -- entgegen der vorherrschenden Meinung -- "in fast allen Fällen, wo wir eine auffallende Ähnlichkeit der Gedanken bei La Mettrie und einem berühmteren Zeitgenossen finden, der erstere die unbestreitbare Priorität für sich hätte." (345) Auch die verbreiteten abträglichen Urteile über La Mettries Charakter weist Lange zurück: "eine edlere Natur als Voltaire und Rousseau". (347) Langes Anliegen war, dass der "Prügeljunge des französischen Materialismus" (344) nicht länger "von der sonst üblichen Gerechtigkeit ausgeschlossen" bleibt. (365) In zwei Punkten widerspricht Lange dem sonst hochgelobten La Mettrie allerdings mit Entschiedenheit: Seiner Behauptung, "dass die Welt niemals glücklich sein wird, wenn sie nicht atheistisch wird" (362; HM, 66), und seiner gesamten Ethik. Diese sei schon deshalb "verwerflich, weil sie Lustlehre ist" (369), und er nennt sogar jene Schriften La Mettries "besonders widerwärtig, in denen er eine gewissermassen poetische Verherrlichung der Wollust gesucht hat." (374) Lange rehabilitiert den "Prügeljungen", der La Mettrie für die Gegner des Materialismus war, nicht aber die Unperson, die er für die Materialisten und die Aufklärer insgesamt war. Weil Lange La Mettries Theorie des Schuldgefühls, das Kernstück seiner hedonistischen Ethik, verwirft, hat er natürlich Verständnis für "den Ingrimm der Zeitgenossen"(365), und auch dafür, dass für die Aufklärer "nichts so wichtig [war] wie der Nachweis, dass die christliche Moral auch die ihre sei und auch ohne Kirche bestehen könne." (26)

Die Tendenz, La Mettrie zu rehabilitieren, indem man seine guten persönlichen Eigenschaften, seine denkerischen Leistungen und seine humanistische Gesinnung betont, ist danach weiter gestiegen. Seine Ansichten über Sexualität und Lust verloren im 20. Jahrhundert ihre Anstössigkeit.

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Seine Theorie des Schuldgefühls wurde oft schlicht übersehen oder als Übertreibung bagatellisiert. Mit zunehmend liberalistischer Sicht auf sein Werk verlor La Mettrie seinen Status als Paria und wurde ein gewöhnlicher marginaler philosophischer Autor, wegen des L'homme machine gelegentlich als einer der Ahnherren von Robotik, cyberman etc. genannt. Nur die wenigen Autoren, die sich näher mit ihm befassten, spürten bisweilen den Stachel, der seine Theorie des Schuldgefühls noch heute sein könnte. Sie verstanden es jedoch, ihm mehr oder weniger geschickt auszuweichen.

Ursula Pia Jauch legte 1998 die mit 600 Seiten bisher umfang- und detailreichste Monographie über La Mettrie vor. (27) Keinem der Rezensenten dieser akademischen Studie (Habilitationsschrift) fiel auf, dass Jauch La Mettries Discours systematisch zu depotenzieren versucht. Als Hauptwerk bezeichnet sie ihn ungern und in Anführung (537). Wenn sie auf dessen Sonderstellung im Gesamtwerk zu sprechen kommt, fallen relativierende Floskeln (510f, 514, 561). Sie spielt die einhellige Gegnerschaft der philosophes zu La Mettrie, die zweifellos dieser Schrift geschuldet ist, herunter und versucht, stattdessen den Mathematiker und Naturwissenschaftler Maupertuis als Gegenpart La Mettries zu lancieren und damit einen anderen Antagonismus in den Vordergrund zu stellen: "Verzauberter Materialismus contra geometrische Transzendenz". (509-536) Derart zu einem frühen Gegner der "rechnenden Vernunft" erklärt, erhält La Mettrie von Jauch vielerlei Lob. Er sei bereits gegen den "Speziesismus" des Menschen gewesen und "Ahnvater der Ökologie" (397), gegen "Rassismus" (538) und ein "Pazifist avant la lettre" (392), gegen Tierversuche (266-276; 423-426) und für eine Humanisierung des Strafvollzugs (395), "Verteidiger der Urteilsunfähigen und Verehrer der Weiblichkeit" (402), und passim: ein visionärer Kämpfer gegen die damals noch drohende und inzwischen längst vollzogene "Verzifferung" und "Geometrisierung" der Welt, gegen die "kalte Vernunft" und ihren "Zahlenwahn". (528f) Das abschliessende Kapitel ihres Buches lautet denn auch: "Statt Aufklärung: Wiederverzauberung der Welt" (564-568). -- Jauch erweckt durch eine Flut zeitgeistkonformer Komplimente den Eindruck, eine Ehrenretterin La Mettries zu sein, lässt aber die Idee, die er als seine wichtigste und einzig originäre ansah, in einer flott erzählten Geschichte zur Nebensache werden. Ihr Fazit lautet: "La Mettries Glückstheorie ist weder genial, noch bringt sie -- mit Ausnahme der Gewissenstheorie -- etwas genuin Neues." (561) Ein kaum verständlicher Satz. Klar ist zunächst nur sein Abwehrcharakter. War sie damals weder genial noch neu? Bringt sie uns heute nichts Neues? Die Gewissenstheorie oder die Glückstheorie? Die erstere als (nebensächlicher?) Teil der letzteren? Solche Konfusionen unterlaufen der sonst eloquenten Autorin stets an Stellen, wo sie offenkundig gegen einen inneren Widerstand schreibt, wo sie "verdrängt". Da kommt es sogar zu einer im Grunde vernichtenden Kritik La Mettries: nachdem sie ihn immer wieder gelobt hat, auch als hervorragenden Psychologen, heisst es an einer Stelle plötzlich, La Mettries Forderung, "den Menschen von den Gewissensbissen zu befreien", (DB, 57: Schuldgefühl) (28) sei entwicklungspsychologisch "undifferenziert". Das klingt zunächst wie ein sachliches Urteil, das nicht überrascht. Gemeint ist aber: La Mettries "Forderung" ist nicht,

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jedenfalls heute nicht mehr, der Rede wert -- so, als wäre sie inzwischen durch "differenzierte" Forschung als unerfüllbar, unsinnig, schädlich, jedenfalls als obsolet erwiesen. Es klingt wie bissiger Hohn, wenn Jauch La Mettries subtile Einsichten in die Entstehung und die schädliche Funktion des Schuldgefühls bzw. des Über-Ichs, als Forderung interpretiert, "künftig in der Erziehung darauf zu achten, dass die Gewissensbisse nicht mehr weiter zum Lehrstoff gehören." Gewissensbisse als Lehrstoff! Jauchs immer wieder spürbares Unbehagen gegenüber der philosophischen Essenz La Mettries kulminiert darin, dass sie jene zitierte "Forderung" wie eine fixe Idee La Mettries ansieht und sozusagen entschuldigt: sie stamme aus dessen "ureigener Erfahrung im Umgang mit der religiösen Zerknirschung." (555)

In Frankreich, wo das Interesse an La Mettrie stets geringer war als in Deutschland, gibt es bis heute keine umfassende Monographie über ihn. Aber ein mittlerweile berühmter philosophischer Autor, Michel Onfray, hatte sich für ein paar Jahre leidenschaftlich seiner angenommen. Für eines seiner eigenen frühen Bücher übernahm er sogar den Titel von La Mettrie: L'art de jouir; der Untertitel: Pour un matérialisme hédoniste. Onfray schien sich damals, 1991, sehr mit La Mettrie zu identifizieren, denn das Buch, das kein Buch über La Mettrie ist, beginnt mit einer Art Hymnus an ihn, und an einigen Stellen im Buch lässt er seinen eigenen Namen scherzhaft mit dem seines Helden verschmelzen: Julien Onfray de La Mettrie. (29) Bei allem überschwänglichen Feiern des "hedonistischen Materialismus" fällt jedoch ins Auge, dass Onfray La Mettries Theorie des Schuldgefühls meidet und auch den Discours nur selten erwähnt. Dies wiederholte sich wenige Jahre später, als er La Mettries L'Art de jouir herausgab und mit einer Einleitung versah. (30) Onfray, Jahrgang 1959, begann 1989 zu publizieren. Zehn Jahre später hatte er, ein philosophischer selfmademan, das dreissigste seiner Bücher -- einige davon in hohen Auflagen -- herausgebracht. Nach wie vor propagiert er einen hedonistischen Materialismus. Aber La Mettrie spielt dabei keine grosse Rolle mehr. In seinem internationalen bestseller Traité d'Athéologie (31) feiert Onfray stattdessen Holbach -- dessen "Ethokratie" er früher als Äquivalent zu den Evangelien verspottet hatte -- mit Meslier und Feuerbach als die drei "Säulen" des "wahren Atheismus". Der einmal kurz erwähnte "wütende La Mettrie" (32) tritt hier in den Hintergrund, ebenso wie in seiner gross angelegten Contre-histoire de la philosophie, wo La Mettrie einer von Dutzenden von Philosophen ist, die wegen ihrer mehr oder weniger "hedonistischen" Einstellung in der etablierten akademischen Philosophiegeschichte ein Schattendasein fristen. (33)

In Deutschland vertritt seit etwa einem Jahrzehnt Bernulf Kanitscheider eine "wissenschaftskompatible Ethik auf sensualistischer Basis" bzw. einen "aufgeklärten Hedonismus". Auch er verfolgt, wie Onfray, historisch den Gedanken einer hedonistischen Lebensführung von der Antike -- mit einem langen Jahrtausend Unterbrechung -- über die Anfänge der Aufklärung bis in unsere Zeit. Auch er war zunächst von La Mettrie begeistert und nannte ihn den "zweifellos kompromisslosesten und offenherzigsten Verteidiger der Lebenslust unter den Philosophen." (34) Aber auch er nahm diese überschwängliche Einschätzung einige Jahre später stillschweigend

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wieder zurück. (35) Der Grund dafür dürfte auch bei ihm La Mettries Theorie des Schuldgefühls gewesen sein. Dies lässt sich auf zweierlei Weise zeigen: 1) formal, denn während er im Jahre 2000, in dem mit Bettina Dessau verfassten Buch, Von Lust und Freude, den Discours als La Mettries Hauptwerk anerkennt, erwähnt er ihn 2007, zumal in dem systematischer angelegten Buch, Die Materie und ihre Schatten, nicht einmal mehr; 2) inhaltlich, was jedoch wegen der schwierigen Problematik an dieser Stelle nicht möglich ist. Ein Satz mag die Tendenz einer Kritik andeuten: Aufgeklärter Hedonismus im Sinne La Mettries fordert nicht zum Hedonismus auf (weil dies entweder überflüssig oder gar schädlich ist), sondern erforscht Ursprünge der Pseudo- und Anhedonie der sog. Spass- und Leistungsgesellschaft, um sie -- im Verlauf der "Zweiten Aufklärung" -- langfristig zu beseitigen.

Die Autoren dieser von 1866 bis heute anhaltenden dritten, "wohlwollenden" Phase der Rezeption La Mettries stimmen bei aller sonstigen Verschiedenheit darin überein, dass sie den Discours nicht wirklich als La Mettries Hauptwerk akzeptieren und seine Theorie des Schuldgefühls nicht als seinen Hauptbeitrag zur Ideengeschichte. Neben dieser dominierenden Rezeptionslinie hat sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts eine zweite gebildet. Bei ihr steht nun gerade der Discours im Fokus, was offenbar dadurch möglich geworden war, dass man den Marquis de Sade als Philosophen -- und zwar als Materialisten, Atheisten und Hedonisten -- entdeckt hat. Den Anfang hatte ausgerechnet einer gemacht, der als Psychoanalytiker und Marxist in die gleiche Kategorie fiel: Erich Fromm. Er war seit etwa 1930 Mitarbeiter von Max Horkheimers "Institut für Sozialforschung", damals noch aufklärerische Avantgarde, und referierte begeistert die "sehr interessanten Bemerkungen" und "sehr fruchtbaren Gedanken de Sades": "Sexualität ist ihm die wesentlichste Quelle der Lust"; er sei "in dieser Beziehung ein Vorläufer Freuds"; und "Lust ist ihm das Hauptziel des menschlichen Daseins." Fromm nennt Sade einen Philosophen, der "ein Anhänger La Mettries" war. (36) Ob Horkheimer und Adorno, als sie 1944 in ihrer Dialektik der Aufklärung Sade zum Gewährsmann ihrer Wendung gegen die Aufklärung machten, La Mettrie mit meinten, muss und kann dahingestellt bleiben. Andere Autoren jedoch haben in der Folge Sade als Konsequenz La Mettries dargestellt, um so die atheistische Aufklärung insgesamt zu diskreditieren. (37)

Einer der Autoren, die La Mettrie mit Sade verschmolzen haben, tat dies jedoch in anderer Absicht. Panajotis Kondylis interpretiert in seiner grossen Studie über die Aufklärung (als Bewegung zur "Rehabilitation der Sinnlichkeit") beide als "Nihilisten", als Vertreter der "These von der Relativität und Fiktivität aller Werte". Er handelt beide zusammen in einem zentralen Kapitel als "Die Konsequenten" ab und erhebt sie damit zu Schlüsselfiguren für das Verständnis der Epoche. (38) Die Aufwertung, die Kondylis diesen beiden Randfiguren, diesen "Parias" der Aufklärung zuteil werden lässt, ist allerdings zwiespältig. Dies zeigt sich am besten in seiner Würdigung des im genannten Sinne "nihilistischen" Standpunkts. Es liege zwar klar in der Konsequenz aufklärerischen Denkens, die Welt schliesslich von ihm aus zu betrachten, wenn man ihre "letzte Wirklichkeit" erfassen will; aber dies werde im-

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mer ein Privileg weniger randständiger Beobachter bleiben, die am gesellschaftlichen Geschehen nicht teilnehmen. (39) Kondylis' Aufklärung über die Aufklärung läuft darauf hinaus, dass aufgeklärte Menschen ("Nihilisten") keine funktionierende Gesellschaft bilden können. Kondylis vermengt La Mettrie mit Sade nicht, um ihn moralistisch zu diskreditieren. Er schreibt ihm eine vermeintlich theoretisch überlegene Position zu, die praktisch wertlos ist; auch das eine durch grosses Lob kaschierte Verdrängung.

Kondylis war der "unfreiwillige Pate des LSR-Projekts", (40) mit dem ich 1985 die vierte Phase der Rezeption La Mettries einleitete. (41) La Mettrie spielt darin eine seiner singulären Stellung in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts entsprechende Rolle (s. Epilog). -- Als ich Anfang der achtziger Jahre jenes zentrale Kapitel bei Kondylis las, wusste ich über La Mettrie und Sade nicht mehr als das Übliche. Aber Kondylis' forciertes Bemühen, diese beiden disparaten Autoren zusammenzuspannen, machte mich hellhörig. Ich fand, dass weder La Mettrie noch Sade einen Nihilismus im Sinne von Kondylis vertreten haben. Sade blieb, kurz gesagt, immer auf das geltende normative System fixiert, nur eben negativ, und für La Mettrie war der Nihilismus eine denkerische Durchgangsstation, mit der er ironisch spielte, um ihn dann auf dem Weg zu seiner Theorie des Schuldgefühls hinter sich zu lassen. Ich fand ausserdem, dass La Mettrie und Sade insbesondere in ihren Auffassungen über die Lust, über das, was Hedonismus bedeutet, veritable Antipoden sind, und das ist entscheidender als die Kategorisierung, nach der beide Materialisten und Atheisten sind. Auf diese Funde und die Erkenntnis ihrer potentiellen ideengeschichtlichen Bedeutung war ich allerdings nicht gänzlich unvorbereitet. Zuvor hatte ich mich viele Jahre intensiv mit zwei ideengeschichtlichen Vorgängen befasst, die in ähnlicher Weise Gipfelpunkte neuzeitlichen aufklärerischen Denkens markieren: dies waren Mitte des 19. Jahrhunderts der "Fall" Stirner und Mitte des 20. Jahrhunderts der "Fall" Reich (s. Epilog). Frappierend an diesen drei "Fällen" -- La Mettrie, Stirner, Reich / LSR -- sind ihre Ähnlichkeiten trotz der sehr unterschiedlichen historischen Kontexte: zum einen die Ähnlichkeit der Methoden, mit denen die "siegreichen" Aufklärer jeweils die radikalen Ideen ihres Kollegen verdrängten, zum anderen die Ähnlichkeit dieser verdrängten Ideen selbst. Das Ziel des LSR-Projekts ist es, über diese drei Vorgänge zu einer konstruktiven Aufklärung über Aufklärung, zu der oftmals postulierten "Zweiten Aufklärung" zu kommen.

Epilog

Das 18. Jahrhundert war das "Jahrhundert der Aufklärung". Doch die Aufklärung war am Ende des Jahrhunderts nicht vollendet, der Ausgang des Menschen aus seiner "selbstverschuldeten" Unmündigkeit nicht vollzogen. Auch die besten Köpfe des 19. und noch des 20. Jahrhunderts sahen sich als Aufklärer. Die Aufklärung, einmal auf den Weg gebracht, schien unaufhaltbar, denn sie vermochte prinzipiell auch Kritik, "Aufklärung über Aufklärung", zur eigenen Stärkung zu nutzen. So war, trotz vielfältiger innerer Hemmungen und Kontroversen, trotz massiver politischer Repressionen, alles in allem dennoch stets ein Fortschreiten der Aufklärung zu verzeichnen -- bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Von da an wurde, nach

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meinem Eindruck, das grosse europäische Projekt der Aufklärung, das selbst der pessimistische späte Freud noch ins Auge fasste, (42) stillschweigend aufgegeben.

Als paradigmatisch für diese welthistorische Wende kann das Schicksal der Kritischen Theorie angesehen werden. Horkheimer, Adorno et al. traten in den dreissiger Jahren als Avantgarde des aufklärerischen Denkens auf, sahen sich als Erben von Marx, Nietzsche und Freud. In den vierziger Jahren, unter dem Eindruck der katastrophalen politischen Wirklichkeit ("Die vollends aufgeklärte Erde", erklärten sie, "strahlt im Zeichen triumphalen Unheils"), dementierten sie ihre einstigen Ambitionen und kamen zu der Auffassung, aller Aufklärung sei per se eine fatale "Dialektik" inhärent. (43) Habermas, der als prominentester Erbe der Kritischen Theorie dennoch eine "nichtdefätistische Aufklärung" neu begründen wollte, scheiterte grandios: er suchte schliesslich die Nähe zum -- Katholizismus. (44)

Das über gut zwei Jahrhunderte hinweg anhaltende stetige Fortschreiten der Aufklärung erwies sich in unserer Epoche, unerwartet und mit niederschmetternder Wirkung, als umkehrbar. Das wirft grundsätzliche Fragen über die Natur von Aufklärung auf. Stellen die Errungenschaften der westlichen Gesellschaften das dar, was einst, bis in die dreissiger Jahre, die Vision vom "Ausgang aus der Unmündigkeit" meinte? Wer heute eine "Zweite Aufklärung" fordert, verneint das. Doch wie ist sie zu konzipieren? Angesichts der aporetisch erscheinenden Lage weckt der Blick auf die Geschichte Zweifel. Waren die Siege der Aufklärung, die zur gegenwärtigen Situation geführt haben, letztlich nur taktische, jeweils erkauft um den Preis ihrer strategischen Schwächung -- bis hin zum stillschweigenden Arrangement ("Pluralismus") mit den wieder erstarkenden traditionellen geistigen Mächten? Eine "Zweite Aufklärung", eine neue Aufklärung über die alte Aufklärung, die das europäische Projekt der Aufklärung nicht als längst vollendet oder als überwundene Ideologie betrachtet, sondern zu neuem Leben erwecken will, wird sich mit diesen Fragen befassen.

Hierzu schlage ich vor, den Fall La Mettrie neu aufzurollen. Warum? Die Eruierung des Grundes, warum Aufklärer aller Richtungen gegen ihr eigenes Ethos ohne Diskussion einmütig gegen einen einzelnen Aufklärer vorgingen, ist überfällig. Die genaue Untersuchung des Phänomens der "Verdrängung" (im doppelten Sinn: psychologisch und ideenpolitisch) von La Mettries Anthropologie -- seiner Auffassungen zur Enkulturation des Individuums, zum Schuldgefühl bzw. Über-Ich, zum Hedonismus, zur Sexualität -- seit 1748 bis heute verspricht instruktive Erkenntnisse. Der effektivste Verdränger La Mettries unter seinen Zeitgenossen war Rousseau. Er griff die von La Mettrie exponierte Problematik der Ambivalenz des Enkulturationsprozesses auf und "entschärfte" sie mit grosser Virtuosität. Während La Mettrie zur Unperson wurde, stieg Rousseau -- trotz und wegen der Kontroversen, die er auslöste -- zum einflussreichsten Philosophen der Epoche auf. Die These, dass Rousseaus Erfolg grossteils darauf beruhte, dass er einen konsequent aufklärerischen Gedanken, den die Aufklärer gleichsam anathematisiert hatten, im Keim erstickte, bedarf allerdings noch einer sehr sorgfältigen Ausarbeitung. (45)

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Rund hundert Jahre später, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, gab es einen sehr ähnlich gelagerten Fall, und zwar wiederum, als die Aufklärung, diesmal in Deutschland, an einem Punkt angelangt war, wo sie den Materialismus/Atheismus als nicht bloss kognitive Angelegenheit zu begreifen begann. Dies war der Fall Stirner. Stirner legte seiner Kritik an Feuerbach eine anthropologische Auffassung zu Grunde, die der La Mettries im Wesentlichen gleicht. Er rief damit gleich zwei Verdränger auf den Plan, die ebenso effektiv waren wie Rousseau bei La Mettrie: Marx und Nietzsche. (46)

Auch im 20. Jahrhundert gab es einen, wieder nur einen einzigen, analogen Fall, den Fall Reich. Reich, ein Schüler des dezidierten Atheisten Freud, geriet in einen grundsätzlichen Konflikt mit Freud, weil er ebenfalls im Wesentlichen La-Mettrie-Stirner'sche Auffassungen zum individuellen Enkulturationsprozess vertrat. Als dessen Folge konnte er, gleichermassen lautlos wie La Mettrie und Stirner, zur Unperson der Psychoanalyse gemacht werden. (47)

Die wiederum verdrängte Idee, derentwegen La Mettrie, Stirner und Reich zu Parias wurden, brach seither nur noch selten und gleichsam kurz auflodernd hervor, so etwa rudimentär beim späten Adorno, wo er inmitten eines langen Texts plötzlich das Über-Ich als das "wahrhaft Heteronome" anprangert: Es sei "das Schandmal der unfreien Gesellschaft" und sein Fehlen das Kriterium für einen "Zustand allseitiger rationaler Aktualität". (48)

Dieser Epilog musste äusserst knapp gehalten werden, was fast unverantwortlich ist, denn dies birgt die Gefahr eines Fehlverständnis des dargestellten Ansatzes -- zumal auf naheliegende Fragen, etwa nach der Wissenschaftskompatibilität, nicht eingegangen werden konnte. Ich kann hier nur auf anderweitige Publikationen verweisen. (49) Die konzise Darstellung des Falles La Mettrie möge eine Anregung sein, sich auf das denkerische Abenteuer zu begeben: die Erkundung, ob die drei genannten Figuren, die die Aufklärung im Keller hat, wirklich Leichen sind oder möglicherweise so vital, dass sie einer "Zweiten Aufklärung" auf die Sprünge helfen könnten.


Anmerkungen:

(1) Ursula Pia Jauch: Jenseits der Maschine. München: Carl Hanser 1998, S. 342, 406; Kathleen Wellman: La Mettrie. Durham and London: Duke University Press 1992, p. 220

(2) Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur. Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag 1930; zahlreiche Nachdrucke; Abschnitt II.

(3) Die wichtigsten Schriften La Mettries sind in einer 4-bändigen deutschen Werkausgabe (Hg. Bernd A. Laska, LSR-Verlag Nürnberg 1985-87) zugänglich.
Zitate aus ihnen werden nachfolgend mit einem Kürzel und der Seitenzahl nachgewiesen:
MM: Der Mensch als Maschine
AS: Über das Glück oder Das Höchste Gut ("Anti-Seneca")
PP: Philosophie und Politik (Vorrede zu den Œuvres und Auszüge aus "Epikurs System")
KW: Die Kunst, Wollust zu empfinden (mit 2 Anhängen: Auszug aus La Mettries letzter Schrift Le petit homme à longue queue; Briefwechsel Haller / Maupertuis)

(4) Die Schriften erschienen in unterschiedlichen Formaten, meist in Duodez oder Sedez. Im heutigen Druck der Œuvres philosophiques umfassen sie zwischen ca. 20 und 70 Seiten (mit Ausnahme des ersten Titels).

(5) vgl. Ernst Bergmann: Die Satiren des Herrn Maschine. Leipzig: Ernst Wiegandt 1913;
Lionel P. Honoré: The Philosophical Satire of La Mettrie. In: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century, vol. 215 (1982), pp. 175-222 (part I); vol. 241 (1986), pp. 203-236 (part II).

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(6) Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hg.): Berichte und Abhandlungen, Band 10. Berlin: Akademie-Verlag 2006, S. 169-178.

(7) La Mettrie nannte in einer kleinen Schrift, die noch kurz vor seinem Tod erschien, den sehr ernsten Grund dafür, dass er "überall in seinem Werk das Stilmittel der Ironie verwandt hat": Er sah sich "in der Lage eines Seefahrers, der in ungünstigen Wettern manövrieren muss" und obendrein aufpassen, dass er nicht "Beute gewisser Piraten" wird, die "in einer Welt des Wahnsinns höchste Achtung geniessen." (KW, 89f)

(8) Karl Popper / John C. Eccles: Das Ich und sein Gehirn. München: Piper 1982, S. 254f.

(9) vgl. Bernd A. Laska: Die Negation des irrationalen Über-Ichs bei La Mettrie

(10) zit. n. Birgit Christensen: Ironie und Skepsis. Das offene Wissenschafts- und Weltverständnis bei Julien Offray de La Mettrie. Würzburg: Königshausen & Neumann 1996, S. 257f.

(11) Brief Lessings an seinen Vater vom 2. November 1750. In: Gotthold Ephraim Lessing: Werke und Briefe in zwölf Bänden, Band 11/1. Frankfurt/M.: Deutscher Klassiker-Verlag 1987, S. 32.

(12) Gotthold Ephraim Lessing: Das Neueste aus dem Reich des Witzes, Junius 1751. In: ders.: Werke und Briefe in zwölf Bänden, Band 2. Frankfurt/M.: Deutscher Klassiker-Verlag 1998, S. 136.

(13) Brief Voltaire an Mme Denis vom 6. Nov. 1750. In: Voltaire's Correspondence, ed. by Theodore Besterman. Genève 1953-1965 (Lettre 3683).

(14) Erläuterung zu "Théorie des remords": remords, als Singular und Plural gebräuchlich, wird meist mit Gewissensbiss(e) oder Schuldgefühl übersetzt. La Mettrie meint an manchen Stellen, wie aus den Kontexten hervorgeht, aber etwas Grundlegenderes, für das ihm noch kein Begriff zu Verfügung stand: die von Freud (Das Ich und das Es, 1923) eingeführte psychische "Instanz" des Über-Ich. Vgl. unten den Abriss von La Mettries Theorie.

(15) Brief Voltaire an Richelieu vom 13. Nov. 1751. In: Voltaire's Correspondence, a.a.O. (Lettre 4010). Man beachte Voltaires sarkastisches Wortspiel mit dem Doppelsinn von Farce (auch: Pastetenfüllung).

(16) Brief Voltaire an Mme Denis vom 14. Nov. 1751. In: Voltaire's Correspondence, a.a.O. (Lettre 4011).

(17) Frédéric II de Prusse: Œuvres, t. 4, Potsdam 1805, pp. 87-94. Vollständig in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Ursula Pia Jauch: Jenseits der Maschine, a.a.O., S. 145-151.
Diese Rede Friedrichs wurde immer wieder als das erstaunliche einzige positive -- und völlig verfehlte -- Urteil eines Zeitgenossen über La Mettrie angesehen. Der Zynismus der zitierten Stelle wurde auch von Spezialisten nicht erkannt und deshalb manchmal ungewollt überboten. So schreibt Jauch (ebd., S. 145): "Nie zuvor und auch nicht später hat Friedrich ähnlich leicht und doch klar und bestimmt Position für das freie Denken bezogen."

(18) Martin Fontius: Der Tod eines "philosophe". Unbekannte Nachrufe auf La Mettrie. In: Beiträge zur romanischen Philologie, 6(1967), S. 5-28, 226-251, zit. S. 20.

(19) Denis Diderot: Essai sur les règnes de Claude et de Néron et sur la vie de Sénèque (1778/82). Versch. Ausgaben, versch. Übers.; Zitat aus 2. Buch, Abschn. VI. -- Die Anmerkung in Holbachs Système de la Nature, dass La Mettrie "über die Sitten wahrhaftig wie ein Wahnsinniger geurteilt" habe, stammt vermutlich ebenfalls von Diderot, der das Werk redigierte.

(20) ebd.

(21) Johann Gottfried Herder: Sämtliche Werke in 33 Bänden, hg. v. Bernhard Suphan, Berlin 1877ff (S. III, 76; IX, 418; X, 309); Christian Fürchtegott Gellert: Moralische Vorlesungen, Leipzig 1770, Band 1, S. 87;
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Leipzig 1927, Band 1, S. 75-82; Johann Caspar Lavater: Physiognomische Fragmente. Leipzig und Winterthur 1777, S. 279;
sachlich diskutierte Hermann Samuel Reimarus: Die vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion, Hamburg 1754, V. Abhandlung, §4.

(22) Ludwig Feuerbach: Gesammelte Werke, hg. v. Werner Schuffenhauer. Band 11. 3. Auflage. Berlin (DDR): Akademie-Verlag 1990, S. 115.

(23) Hermann Hettner: Geschichte der französischen Literatur im achtzehnten Jahrhundert. Braunschweig: Vieweg 1860, S. 373-375.

(24) Emil DuBois-Reymond: La Mettrie. In der Friedrichs-Sitzung der Akademie der Wissenschaften am 28. Januar 1875 gehaltene Rede. In: ders.: Reden. 1. Folge: Litteratur, Philosophie, Zeitgeschichte. Leipzig: Veit 1886, S. 178-210.

(25) Friedrich Albert Lange: Geschichte des Materialismus. Iserlohn: Baedeker 1866. Neudruck:

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Frankfurt/M.: Suhrkamp 1974 (Zitatnachweise im folgenden Text beziehen sich auf diese Ausgabe)

(26) So treffend und bis heute leider nicht obsolet: Fritz Mauthner: Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande. Band 3. Stuttgart und Berlin: Deutsche Verlagsanstalt 1922, S. 127 (über La Mettrie S. 116-130).

(27) Ursula Pia Jauch: Jenseits der Maschine, a.a.O. (Zitatnachweise durch Seitenzahlen im Text).

(28) zu Gewissensbisse=remords: gemeint Schuldgefühl, Über-Ich, vgl. Anm. 14.

(29) Michel Onfray: L'art de jouir. Pour un matérialisme hédoniste. Paris: Grasset 1991;
die deutsche Übersetzung von Eva Moldenhauer erschien in zwei Büchern.
Der sinnliche Philosoph. Über die Kunst des Geniessens. Frankfurt/Main: Campus 1992;
Philosophie der Ekstase. Frankfurt/Main: Campus 1993; (der erwähnte "Hymnus" ist mit "tombeau" überschrieben und wurde nicht mitübersetzt; Onfrays Namensverschmelzung zu Julien Onfray de La Mettrie fehlt, wurde offenbar als Fehler betrachtet und "stillschweigend korrigiert")

(30) Julien Offroy [sic!] de La Mettrie: L'art de jouir. Nantes: Éditions Le Passeur 1995 (Préface de Michel Onfray, pp. 7-15).

(31) Michel Onfray: Traité d'Athéologie. Physique de la métaphysique. Paris: Grasset 2005; im ersten Jahr eine Auflage von 200.000 verkauft; bereits in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt; deutsche Ausgabe: Wir brauchen keinen Gott. Warum man jetzt Atheist sein muss. München: Piper 2006.

(32) Michel Onfray: Wir brauchen keinen Gott. a.a.O., S. 55.

(33) Michel Onfray: Contre-histoire de la philosophie. Paris: Grasset.
Tome 1: Les sagesses antiques - de Leucippe à Diogène d'Oenanda (2006)
Tome 2: Le christianisme hédoniste - de Simon le magicien à Montaigne (2006)
Tome 3: Les libertins baroques - de Charron à Spinoza (2007)
Tome 4: Les ultras des lumières - de Meslier à Sade (2007)
Tome 5: L'eudémonisme social (2008)
Tome 6: Les radicalités existentielles (2008).

(34) Bettina Dessau und Bernulf Kanitscheider: Von Lust und Freude. Gedanken zu einer hedonistischen Lebensorientierung. Frankfurt/Main: Insel 2000, S. 90.

(35) Bernulf Kanitscheider: Die Materie und ihre Schatten. Naturalistische Wissenschaftsphilosophie. Aschaffenburg: Alibri 2007 (Zweiter Teil: Praktische Philosophie, S. 215-273; bes. 262).

(36) Erich Fromm: Besprechung von "Geoffrey Gorer: The revolutionary Ideas of the Marquis de Sade". In: Zeitschrift für Sozialforschung, 3(1934), S. 426-427.

(37) Lester G. Crocker: An Age of Crisis. Baltimore MD: Johns Hopkins Press 1959;
ders.: Nature and Culture. Baltimore MD: Johns Hopkins Press 1963;
Arno Baruzzi: Einleitung, Kap. La Mettrie, Kap. Sade. In: ders. (Hg.): Aufklärung und Materialismus im Frankreich des 18. Jahrhunderts. München: List 1968.

(38) Panajotis Kondylis: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus. Stuttgart: Klett-Cotta 1981, S. 490-5; 503-518.

(39) Panajotis Kondylis: Macht und Entscheidung. Die Herausbildung der Weltbilder und die Wertfrage. Stuttgart: Klett-Cotta 1984, S. 128.

(40) vgl. Bernd A. Laska: Panajotis Kondylis -- unfreiwilliger Pate des LSR-Projekts. Anstelle eines Nachrufs, 25. Juli 1998

(41) durch die Herausgabe der deutschen Werkausgabe der wichtigsten Schriften La Mettries (s. Anm. 3).

(42) z.B. in seiner religionskritischen Schrift Die Zukunft einer Illusion von 1927 gegen Ende: In Bezug auf die Religion ist er "optimistisch genug anzunehmen, dass die Menschheit diese neurotische Phase überwinden wird. [...] Der Primat des Intellekts liegt gewiss in weiter, weiter, aber wahrscheinlich doch nicht in unendlicher Ferne."

(43) Max Horkheimer / Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Amsterdam: Querido 1947.
Das Zitat stammt aus dem zweiten Satz des Werks.-- Hier ist hervorzuheben, dass die Autoren den Marquis de Sade als Gewährsmann für ihre Aufklärungskritik nehmen.

(44) Auf andere Ansätze der letzten Jahrzehnte, die Aufklärung weiterzuführen, kann ich hier nicht eingehen.

(45) Zum Verhältnis Rousseaus zu La Mettrie gibt es erstaunlicherweise kaum Literatur. Giuseppe Roggerone zieht ein etwas ratloses Fazit aus seiner Studie

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Controilluminismo. Lecce: Milella 1975: "La Mettrie ist nicht Rousseau. Aber bei La Mettrie finden sich zweifellos wichtige Gedanken, die Rousseau direkt oder indirekt aufgenommen hat." Zit. n. Giuseppe Roggerone: Bibliografia degli studi su Rousseau. Lecce: Milella 1992, p. 252. -- Rousseau hat sich zu La Mettrie weder in seinen Werken noch in Briefen jemals geäussert.

(46) vgl. dazu Bernd A. Laska: Ein dauerhafter Dissident. Eine kurze Wirkungsgeschichte von Stirners "Einzigem". Nürnberg: LSR-Verlag 1996; sowie mehrere Artikel, auch im Internet.

(47) Um den Gegensatz kurz anzudeuten: Gegen Freuds Formel "Wo Es war, soll Ich werden" setzte Reich "Wo Über-Ich war, soll Ich werden" (kein Zitat). -- Es gibt ein Buch Der "Fall" Reich, hg. von Karl Fallend und Bernd Nitzschke, Frankfurt: Suhrkamp 1997. Darin wird der Konflikt vornehmlich auf der politischen Ebene gesehen, während Freud selbst in einem Brief "wissenschaftliche Gründe" angab. Diese Gründe nannte er jedoch nie. Stattdessen liess er Reich administrativ kaltstellen. Das klingt banal, ist aber, detektivisch erforscht, eine Geschichte mit einem Potential, das dem der Geschichte La Mettries gleicht.

(48) Theodor W. Adorno: Negative Dialektik. Frankfurt: Suhrkamp 1966, S. 272, 269.

(49) Die Netzpräsenz https://www.lsr-projekt.de, die Angaben zu gedruckter Literatur und frei zugängliche Texte enthält.

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