|
ein paraphilosophisches Projekt nicht in der Zeit, aber -- an der Zeit |
Bernd A. Laska
Der Ausdruck "individualistischer Anarchismus" (synonym auch "individueller Anarchismus", "Individualanarchismus" oder "anarchistischer Individualismus"), bezeichnet ein im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts entstandenes Konzept einer zukünftigen Gesellschaft, in der die Freiheit jedes Individuums (von äusserem Zwang) den höchsten Wert darstellt und so weit wie möglich gewährleistet sein soll, d.h. nur in dem Masse eingeschränkt ist, das sich daraus ergibt, dass alle Individuen diese Freiheit gleichermassen haben sollen. Die Anhänger des individualistischen Anarchismus sehen das Haupthindernis, das einer solchen gesellschaftlichen Ordnung entgegensteht, in der Institution des Staates (auch eines ideal demokratischen), und zwar deshalb, weil der Staat die Freiheit der meisten Individuen mehr als im genannten Sinne erforderlich einschränkt, um einige institutionell verankerte Privilegien, die staatlichen Monopole, die die Freiheit des Wettbewerbs der Individuen behindern bzw. ausschalten, aufrechtzuerhalten. Es handele sich dabei um vier hauptsächliche Monopole: das Geld-, das Boden-, das Zoll- und das Patentmonopol, wobei das erste das weitaus gravierendste sei. Die Existenz dieser (und weiterer) Monopole verhindere permanent, dass das Individuum für seine produktive Arbeit den "natürlichen Lohn", den "vollen Ertrag" erhalte. Diese Monopole bzw. den Staat, der sie mit Gewalt(-androhung) aufrechterhält, gilt es daher zu beseitigen, wenn ein Optimum an Freiheit und (Tausch-)Gerechtigkeit erreicht werden soll. Alle erwünschten gesellschaftlichen Aufgaben, die bisher der Staat auch übernommen habe, wie das Polizei-, das Rechts-, das Schul-, das Fürsorgewesen etc., würden, wie insbesondere auch das Geldwesen, ohne Monopole und bei freier Konkurrenz besser und effektiver erfüllt werden; vor allem wäre die Beteiligung jedes Individuums daran freiwillig und nicht, z.B. durch Steuerzahlung, erzwungen. Die Herbeiführung einer solchen freien Gesellschaft könne naturgemäss nicht durch Zwang und Gewalt, sondern nur durch Aufklärung und Überzeugung, also nicht auf revolutionärem, sondern nur auf evolutionärem Wege erfolgen. Das Kampfmittel der Wahl sei der -- hierbei durchaus kollektive -- passive Widerstand, die Verweigerung (insbesondere von Steuerzahlungen) gegenüber dem Staat. GeschichteDer individualistische Anarchismus ist eine weitgehend aus der angelsächsischen, insbesondere nordamerikanischen Tradition politischen Denkens hervorgegangene Doktrin: eine Extremform des Liberalismus. Thomas Jefferson (1743-1826), der Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeits- und Menschenrechtserklärung von 1776, hatte seine staatspolitische Überzeugung einmal in das bonmot gefasst: "Die beste Regierung ist die, die am wenigsten regiert." Und der amerikanische Publizist Benjamin R. Tucker (1854-1939), der repräsentativste Vertreter des individualistischen Anarchismus, sagte von sich und den Anhängern des individualistischen Anarchismus gelegentlich, sie seien eigentlich nur Jefferson'sche Demokraten mit Konsequenz: denn sie hätten den Mut, den folgerichtigen Schluss zu ziehen und auszusprechen, dass eigentlich doch keine Regierung die beste Lösung sei. Tucker nennt als die wichtigsten Einflüsse, die ihn zur Formulierung des individualistischen Anarchismus oder auch "philosophischen Anarchismus" geführt haben, an erster Stelle die Lehren des Amerikaners Josiah Warren, dann auch die des Franzosen Pierre-Joseph Proudhon (dessen »Qu'est-ce que la propriété« er 1876 ins Englische übersetzte). Weitere Einflüsse kamen von amerikanischen Freiheitsdenkern und -dichtern wie Stephen Pearl Andrews und Lysander Spooner sowie Ralph Waldo Emerson und Henry David Thoreau, von den englischen Philosophen John Stuart Mill (1859: »On Liberty«) und Herbert Spencer (1884: »The Man versus the State«), aber auch von dem russischen kollektivistischen Anarchisten Michail Bakunin (dessen »Dieu et l'Etat« Tucker 1883 ins Englische übersetzte). Tucker gründete 1881 die Zeitschrift »Liberty« als Forum für ein breites Spektrum von Stimmen, die zu Problemen des individualistischen Anarchismus Stellung nahmen, und gab sie bis 1908 zunächst in Boston, dann in New York heraus. Die Wirkung der Ideen von Max Stirner (1806-1856) auf Tucker und den individualistischen Anarchismus verdient besonderes Interesse, und zwar deshalb, weil Stirner, seit er in den 1890er Jahren eine "Renaissance" erfahren hatte, immer wieder als der eigentliche Stammvater des individualistischen Anarchismus bezeichnet wurde und wird. Stirner wurde durch James L. Walker (1845-1904), einen sprachkundigen und umfassend gebildeten selfmademan, der, vielleicht Schmidt-Stirner folgend, unter dem Pseudonym Tak Kak schrieb, Ende der 80er Jahre in »Liberty« (1881-1908) zur Diskussion gestellt, zu einem Zeitpunkt, als Tucker die Grundauffassungen des individualistischen Anarchismus bereits formuliert hatte. Dies entzündete sogleich eine Kontroverse, bei der es um die grundsätzliche philosophische Frage ging, ob der individualistische Anarchismus nun überhaupt noch, wie bisher, auf einer naturrechtlichen Basis stehen könne (Martin 1970, 249-254; Coughlin et al., 1986, 131-135). Walker verneinte dies; Tucker und einige weitere Anhänger des individualistischen Anarchismus folgten Walkers Argumenten und revidierten ihre Positionen. Die Folge war eine Spaltung der Bewegung des individualistischen Anarchismus, und Tucker verlor einige der besten Mitarbeiter von »Liberty«. Die Kontroverse um die Bedeutung Stirners für den individualistischen Anarchismus wurde mit einer überraschenden Heftigkeit und Erbitterung geführt, verlief sich aber bald im Unentschiedenen. Stirner war daraufhin in »Liberty« kein (umstrittenes) Thema mehr, und Walker blieb als Tak Kak zwar weiterhin »Liberty«-Autor, veröffentlichte aber seine von Stirner inspirierten Beiträge zur »Philosophie des Egoismus« jetzt woanders: in einem entlegenen Periodikum namens »Egoism«. Die Stirner-Kontroverse von 1887 war indes nicht wirklich erledigt. Sie schwelte untergründig weiter, in der Gruppe und in den einzelnen Individuen. Die Anhänger des individualistischen Anarchismus scheinen der von Stirner aufgeworfenen Problematik letztlich ebenso ausgewichen zu sein wie zuvor die Zeitgenossen Stirners (am folgenreichsten Marx), später eine stattliche Reihe prominenter Denker (am folgenreichsten Nietzsche) und im übrigen auch die meisten Anarchisten (vgl. Laska 1993, 1996). Diesem prekären und naturgemäss weitgehend in der Obskurität verbliebenen Prozess ist es wohl zu danken, dass eine englische Übersetzung von Stirners »Einzigem« erst mit zwanzigjähriger(!) Verspätung erschien, zu einer Zeit, als die Bewegung des amerikanischen individualistischen Anarchismus und »Liberty« bereits ihrem Ende nahe waren. Tucker selbst gab sie (»The Ego and His Own«) 1907 noch im eigenen Verlag heraus -- offenbar in einem letzten, eigene und fremde Widerstände überwindenden Kraftakt, denn er kommentierte seine Tat in einer der letzten Ausgaben von »Liberty« im Ton eines Vermächtnisses: "Ich habe mich über mehr als dreissig Jahre hinweg für die Verbreitung der Ideen des Anarchismus eingesetzt und dabei einiges erreicht, auf das ich stolz bin; aber ich glaube, dass ich nichts für die Sache getan habe, dessen Bedeutung an die Herausgabe dieses Buches heranreicht." -- Kurz darauf wurden Tuckers Geschäfts- und Lagerräume durch einen Brand völlig zerstört. Tucker war ruiniert, verliess die USA und ging nach Frankreich, wo er die restlichen drei Jahrzehnte seines Lebens in publizistischer Enthaltsamkeit verbrachte. Das Ende von »Liberty« im Jahre 1908 markiert auch das Ende der von Tucker geprägten Epoche des originären individualistischen Anarchismus. Der führende Vertreter des individualistischen Anarchismus in Deutschland war der Dichter und Schriftsteller John Henry Mackay (1864-1933), der zwar in Schottland geboren wurde, aber seit seinem zweiten Lebensjahr in Deutschland gelebt und nur in deutscher Sprache geschrieben hat. Mackay verkehrte in den 1880er Jahren zunächst im Milieu der jungen, rebellischen Dichter des aufkommenden Naturalismus, ging aber, da ihn die "soziale Frage" ernsthafter berührte als seine Kollegen, bald eigene Wege. Aufgrund des sozialkritischen Pathos seines ersten dichterischen Erfolgs, des Gedichtbandes »Sturm« (1888), feierte man ihn als "Sänger der Anarchie". Doch Mackay fühlte sich auch den Anarchisten, die vorwiegend kollektivistisch bzw. kommunistisch orientiert waren, keineswegs zugehörig. Erst die Bekanntschaft mit Tucker, sowohl durch dessen Zeitschrift »Liberty« (und deren zeitweilige deutsche Ausgabe »Libertas«) als auch durch persönliche Begegnung, eröffnete ihm die ersehnte politische Heimat. Mackay wurde ab etwa 1890 der wichtigste Vertreter des individualistischen Anarchismus in Deutschland. Er schrieb, neben seinem dichterischen Werk, zwei einschlägige »Bücher der Freiheit«, die er seinem Freunde Tucker widmete: 1891 »Die Anarchisten« und 1920 »Der Freiheitssucher«. Er gab »Flugschriften des Individualistischen Anachismus« und seit 1895 eine Schriftenreihe »Propaganda des Individualistischen Anarchismus« in deutscher Sprache" heraus, in der vorwiegend Übersetzungen von Broschüren des amerikanischen individualistischen Anarchismus erschienen, als wichtigste die Tucker'sche Programmschrift »Staatssozialismus und Anarchismus«. Doch der stark angelsächsisch geprägte individualistische Anarchismus fand in Deutschland nur wenige Anhänger (prominentester war der junge Rudolf Steiner - bevor er "Anthroposoph" wurde), und die Bewegung des individualistischen Anarchismus kam auch hier noch vor dem ersten Weltkrieg zum Erliegen; Mackays Versuch, sie nach 1918 neu zu beleben, scheiterte. Mackay hat den Eindruck erweckt, sein propagandistisches Wirken für den individualistischen Anarchismus stehe in engem, sachlichen Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Biograph und Herausgeber Stirners. Dadurch ist es üblich geworden, Mackay als authentischen Stirnerianer und Stirner als Patron des individualistischen Anarchismus anzusehen. Diese Zuordnungen können einer genaueren Prüfung freilich nicht standhalten. Es war zweifelsfrei Tucker, der den individualistischen Anarchismus konzipiert hat, und er hat dies bereits in den 1880er Jahren, ohne Kenntnis Stirners, getan. Der Stirner'sche Impuls hat dann zwar die Anhängerschaft des individualistischen Anarchismus stark irritiert, gleichwohl aber keinen Diskurs erzeugt, der den individualistischen Anarchismus grundlegend modifiziert oder gar die Ideen, die spezifisch Stirner'sche sind, wirklich integriert hätte. Mackay übernahm den individualistischen Anarchismus von Tucker in seinen wesentlichen Zügen und schrieb seine »Bücher der Freiheit« aus dem Geiste dieses individualistischen Anarchismus. Beide, Tucker und Mackay, bekannten sich zwar verbal, zuweilen sogar sehr emphatisch, zu dem auch unter Anarchisten unpopulären Stirner, wussten aber mit dessen spezifischen Begriffen, insbesondere mit dem der "Eigenheit", im Grunde wenig anzufangen; sie wären von Stirner, dem die "gleiche Freiheit Aller", die Grunddoktrin des individualistischen Anarchismus, ja von Kant her geläufig war, als blosse Freiheitsschwärmer verspottet worden. * Der individualistische Anarchismus war freilich mit dem Ende von Tuckers und Mackays Aktivitäten nicht gänzlich tot. Es gab, auch als Reaktion auf das weltweite Erstarken des Kollektivismus nach dem 1. Weltkrieg, immer wieder Denker, die, wie einst Tucker, selbständig an die individualistischen und liberalistischen Denktraditionen anknüpften und sie bis zu ("tendenziell") staatsverneinenden (und in diesem Sinne anarchistischen) Positionen zuspitzten. In Nordamerika wären hier Albert Jay Nock (1928: »Our Enemy, the State«) und Henry Louis Mencken zu nennen, im deutschsprachigen Raum etwa Franz Oppenheimer (1926: »Der Staat«), vielleicht auch die Ökonomen Ludwig von Mises und Friedrich August (von) Hayek (1944: »The Road to Serfdom«), die aber wohl nicht zufällig ihre Hauptwirkung in den USA entfalteten. Der individualistische Anarchismus lebte aber auch in einigen Personen weiter, die Tucker noch persönlich kannten und für die die geschwundene öffentliche Attraktivität der Idee kein Grund war, sie zu verwerfen: in den USA beispielsweise in Laurance Labadie (1898-1975), der, als Sohn eines alten Kampfgefährten Tuckers, die Stafette des individualistischen Anarchismus weitergab an Männer wie James J. Martin und Murray N. Rothbard (Coughlin et al. 1986, S.116-130), "libertarians", die ihr in den 60er Jahren wieder zu publizistischer Präsenz verhalfen. Rothbard etwa unterzog (»The Spooner-Tucker Doctrine«, In: A Way Out, May/June 1965) den individualistischen Anarchismus einer gründlichen Revision, wobei er zwar, als Ökonom, dessen geldtheoretischen Vorstellungen als "Monetariomanie" verwarf, als Libertarier jedoch die politisch-anthropologischen Grundlagen des individualistischen Anarchismus voll und ganz akzeptierte. Auch in diesen neueren Diskussionen erwies die Chiffre "Stirner", die hier wiederum nur kurz auftauchte, ihre Kraft, eine Gruppierung in wenige (vielleicht nur vermeintliche) Anhänger und viele entschiedene Gegner Stirners zu spalten (vgl. A Way Out, Oct.1967, p.12-17); und auch diesmal vermied man es, die Grundfrage nach der Natur der "Freiheit", dieses geheiligten Schibboleths des individualistischen Anarchismus und des Libertariertums, mit Hilfe Stirners zu problematisieren und genauer zu untersuchen. Dabei kann es bei den Libertariern bzw. Anarcho-Kapitalisten, wie sich viele Vertreter eines modernen, modifizierten individualistischen Anarchismus auch nennen, keineswegs das Schreckwort "Egoismus" sein, welches sie Stirner ablehnen und ignorieren lässt (eines ihrer programmatischen Bücher, von Ayn Rand in den 60er Jahren verfasst, heisst sogar »The Virtue of Selfishness«); nein, es muss wiederum das sichere Gespür für eine bestimmte, in Stirners "Einzigem" latente Idee sein, das auch viele andere, die sich mit ihr konfrontiert sahen (von Marx über Nietzsche und Carl Schmitt bis zu Habermas), einer öffentlichen Auseinandersetzung mit aus dem Wege gehen liess (vgl. Laska 1993, 1996). In Deutschland (Bundesrepublik) lebte der individualistische Anarchismus wieder auf, als Kurt Helmut Zube (1905-1991), der Mackay noch persönlich kannte, 1974 die Mackay-Gesellschaft gründete. Die Selbstcharakteristik, die in den meisten ihrer Publikationen wie ein Impressum abgedruckt ist, spricht für sich: "Die Mackay-Gesellschaft, undogmatisch, anti-ideologisch, möchte Basis einer Diskussion über alle Probleme der Gesellschaftsordnung sein. Sie ist bemüht, ihre Argumentation nur auf beweisbare Tatsachen zu stützen. An solchen wird sie einige, nebst allen Konsequenzen daraus, vorstellen, die zu einer ganz neuen Denkungsart führen, wie bereits Albert Einstein sie als unumgänglich notwendig erklärt hatte." Die Mackay-Gesellschaft war publizistisch sehr aktiv und brachte neben Neudrucken von Schriften der Urheber des individualistischen Anarchismus, Tucker und Mackay, auch Erstübersetzungen anderer Vertreter des individualistischen Anarchismus sowie aktuelle Diskussionsbeiträge wie das »Manifest der Freiheit und des Friedens« von K.H.Z. Solneman [d.i. Zube] heraus. Sie trug dadurch gewiss zur Ausgestaltung des überkommenen Bestandes des individualistischen Anarchismus bei, verliess sich aber stets darauf, dass dessen theoretische Basis solide und vollendet ist und sprach deshalb bisweilen vom individualistischen Anarchismus als dem "wissenschaftlich-kritischen" Anarchismus. Zube sah in Mackay, dessen Abhängigkeit von Tucker er herunterspielte, den Vollender und damit auch Überwinder Stirners. Auch für Stefan Blankertz (1956-), der 1981 mit Zube einen ambitionierten Disput über die philosophischen Grundlagen des individualistischen Anarchismus führte, war Stirner kein Thema mehr; Blankertz fand stattdessen über einige Nebenwege zu einem individualistischen Anarchismus Rothbard'scher Prägung und entdeckte schliesslich, nach gründlichem Studium des "subversiven" Thomas von Aquin, wie Rothbard, "dass es eine verborgene, fast heimliche Gedankenwelt des katholischen Anarchismus gibt" (»Vernunft ist Widerstand«, Köln 1993, S.8). Auch in anderen Ländern Europas entfalteten nach dem 2. Weltkrieg Vertreter des individualistischen Anarchismus publizistische Aktivität. - In Frankreich gründete Emile Armand [d.i. Ernest-Lucien Juin] (1872-1962), der bereits von 1922-1939 die individualistische Anarchismus-Zeitschrift »L'en dehors« herausgegeben hatte, schon 1945 die Zeitschrift »L'Unique«, die bis zu seinem Tode erschien. Armand, der sich in der Tradition Spooner-Tucker-Mackay sah und sich auch zu Stirner bekannte, legte besonderes Gewicht auf das Problem der sexuellen Befreiung. - In Italien wirkte im Sinne des individualistischen Anarchismus vor allem Enzo Martucci (1904-1975), der ein »Manifesto dei Fuorigregge« und eine Reihe von Broschüren zum individualistischen Anarchismus verfasste. - In England gibt Sidney E. Parker (1929-) seit 1963 eine Zeitschrift des individualistischen Anarchismus heraus (bis 1980 »Minus One«, bis 1994 »Ego«), in der einige interessante Debatten stattfanden. Parker, der von Anfang an weniger auf Tucker, stattdessen dezidiert auf Stirner Bezug nahm, sah sich seit ca. 1980 nicht mehr als Vertreter des individualistischen Anarchismus (vgl. »Ego« Nr.15, 1993, p.7), sondern als "bewusster Egoist", worunter er eine Position versteht, die der des "Anarchen" von Ernst Jünger (vgl. dessen »Eumeswil«, 1977; Laska, 1997) nahekommt. ZusammenfassungDie Lehre des individualistischen Anarchismus entstammt in ihren wichtigsten Teilen der Tradition des angelsächsischen politischen Denkens. Sie ist die Extremform des Liberalismus: "Die beste Regierung ist (nicht eine minimale, sondern) keine Regierung". Die Anhänger des individualistischen Anarchismus wollen ihr Ziel, eine Gesellschaft der "gleichen Freiheit Aller", d.h. die Beseitigung des Staates als Träger und (gewalttätigem) Beschützer von Monopolen und damit Garant der Ungleichheit, in erster Linie mit den Mitteln der Aufklärung und der Verweigerung (Steuerstreik) erreichen; Gewalt betrachten sie als untaugliches Mittel. Der Begründer und repräsentativste Vertreter des individualistischen Anarchismus ist der amerikanische Publizist Benjamin R. Tucker (1854-1939). Der bekannteste deutsche Vertreter des individualistischen Anarchismus ist John Henry Mackay (1864-1933). Einige der seit den 60er Jahren in den USA wirkenden "Anarcho-Kapitalisten", namentlich Murray Rothbard (1926-1995), können, auch wenn sie sich nicht explizit auf Tucker oder den individualistischen Anarchismus berufen, wegen ihrer Grundauffassungen als Vertreter eines modernisierten individualistischen Anarchismus betrachtet werden. Die verbreitete Auffassung, der Urvater des individualistischen Anarchismus sei Max Stirner (1806-1856), ist in historischer und in sachlicher Hinsicht falsch. Tucker formulierte das Konzept des individualistischen Anarchismus, bevor er auf Stirner stiess. Er und Mackay bekannten sich dann zwar (auch) zu Stirner; sie rezipierten ihn jedoch nicht vollständig und erkannten nicht, dass Stirner gerade eine Lehre wie den individualistischen Anarchismus als Freiheitsschwärmerei verspottete: für Stirner war (äussere) "Freiheit", wie sie der individualistische Anarchismus (für innerlich nach wie vor "unfreie" Menschen) forderte, eine blosse Chimäre. LiteraturPrimär: Sekundär:
Dieser Artikel erschien erstmals in: Lexikon der Anarchie, hg. v. Hans Jürgen Degen. Bösdorf: Verlag Schwarzer Nachtschatten, 1993ff (Loseblattsammlung), 2. Lieferung Nov. 1994 |
Übersicht |
Autor/Biblio |
LSR-Intro |
La Mettrie |
Max Stirner |
Wilhelm Reich |
Diverses
...LSR-Verlag...
Copyright 1998-2024 © by Bernd A. Laska
|
| |
|
| |
|