Ein Service von Max Stirner im LSR-Projekt


Der folgende Aufsatz erschien zuerst in:
Wigand's Vierteljahrsschrift. Dritter Band. Leipzig: Verlag Otto Wigand, [Sept.] 1845, S. 86-146
Er wurde zuletzt nachgedruckt in: Kurt W. Fleming (Hg.): Recensenten Stirners. Kritik und Anti-Kritik. Leipzig: Verlag Max-Stirner-Archiv 2003, S. 55-68
Die digitalisierte Fassung wurde zur Verfügung gestellt von Kurt W. Fleming, Max-Stirner-Archiv Leipzig.
Die Schreibweise des Originals wurde beibehalten, g e s p e r r t e  Worte wurden kursiv wiedergegeben.
Hinweis: Stirners Replik »Recensenten Stirners« auf seine Kritiker Feuerbach, Hess und Szeliga erschien im gleichen Band von Wigand's Vierteljahrsschrift, S. 147-194, war also Bauer bei Abfassung dieses Artikels noch nicht bekannt.


anonym [Bruno Bauer]:
Charakteristik Ludwig Feuerbachs


Die Voraussetzung Feuerbachs (S. 86-88)
[ ... ]
Der Mysticismus Feuerbachs (S. 88-91)
[ ... ]
Die Hegelei Feuerbachs (S. 92-102)
[ ... ]
Die Religion Feuerbachs (S. 102-116)
[ ... ]
Der Materialismus Feuerbachs (S. 116-123)
[ ... ]
Feuerbach und der Einzige (S.123-146)
Die Consequenzen Feuerbachs und ihr Kampf gegen die Kritik und den Einzigen.

Der Kritiker geht unaufhaltsam, siegesgewiß und siegreich seines Weges. Man verläumdet ihn: er lächelt. Man verketzert ihn: er lächelt. Die alte Welt macht sich auf in einem Kreuzzuge gegen ihn:

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er lächelt. — Max Stirner ist der Anführer und Heerführer der Kreuzfahrer. Zugleich der Tüchtigste und Tapferste von allen Kämpfern. Vor dem Einzigen und seinem Eigenthume fällt der politisch Liberale, der den Eigenwillen brechen will und der sociale Liberale, der das Eigenthum zerstören will. Sie fallen vor dem kritischen Messer des Einzigen. Allein der kritisch Liberale, der nach der Meinung des Einzigen dem Menschen seinen Egoismus, seine Eigenheit nehmen will — der will nicht fallen vor der Kritik, weil er selber der Kritiker ist. Was macht der Einzige mit ihm? Nein, ruft er, es wird nichts daraus. Meine Eigenheit gehört mir. Die behalte ich; die darfst und sollst du mir nicht nehmen, Kritiker. Er reckt die Glieder und legt sich nieder. Juchhe! Nun bin ich fertig. Alles los, von Allem frei. Ich hab' mein' Sache auf Nichts gestellt. — Der Einzige ist der letzte Zufluchtsort in der alten Welt, der letzte Schlupfwinkel, von wo aus sie ihre Angriffe auf eine von ihr ganz verschiedene, darum von ihr unverkennbare Gestaltung machen kann. Der Einzige ist die Substanz, fortgeführt zu ihrer abstractesten Abstractheit. Dieses Ich, das unsagbare, das Namen nicht nennen und Eigenschaften nicht ausdrücken, das weder an der physischen noch an der psychischen Welt, viel weniger an beiden seinen Inhalt hat, das weder im Himmel noch auf Erden seine Wohnung aufschlägt, sondern Gott weiß wo in der Luft umher wankt und schwankt, lebt und schwebt, dieses Ich, der gesteigerteste, mächtigste und kräftigste Egoismus der alten Welt, aber darum doch die Ohnmacht selbst, der Egoismus, der zeigt, wie nichtig und flüchtig, ohne Halt und Leben der Egoismus der alten Welt war und sein muß, dieses Ich, nicht das auf sich gestützte und die Welt von sich aus lenkende Selbstbewußtsein, nicht die auf sich selbst gestellte Persönlichkeit, nicht der Mensch, der mit seiner Kraft bindet und löst und die Welt beherrscht, weil er eben die Macht in seinen Händen hat, sondern das Ich, welches zur Stützung seines Egoismus der Heuchelei, des Betrugs, der äußern Gewalt, der kleinlichen Ueberredungskunst bedarf — dieses Ich ist die Substanz in ihrer härtesten Härte, "das Gespenst aller Gespenster," die Vollendung und der Höhepunkt einer vergangenen Geschichtsepoche. —

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Feuerbach hat dem Kritiker nie etwas anhaben können. Er hat ihn auf seinem Triumpfwagen weiter fahren und neue Triumpfe sammeln lassen. Oder vielmehr, er hat den ehrenvollsten Kampf, den die Vergangenheit mit der Kritik kämpfen konnte, gekämpft: Er hat geschwiegen. —

Nicht so mit dem Einzigen. Hier fand Feuerbach einen ebenbürtigen Gegner, mit dem er sich messen konnte und wollte, einen Dogmatiker. »Ueber ›das Wesen des Christenthums‹ in Beziehung auf den ›Einzigen und sein Eigenthum‹«, Wigand's Vierteljahrschrift 1845. Zweiter Band S. 193-205. Feuerbach: "Ich hab' meine Sache auf Nichts gestellt" sagt der Einzige. Aber ist denn nicht auch das Nichts ein Prädicat Gottes, nicht auch der Satz: Gott ist nichts, ein Ausspruch der Religion? So hat also der "Egoist" doch auch noch seine Sache auf Gott gestellt! So gehört also auch Er noch zu den "frommen Atheisten!" — Richtig. Nur so fort gefahren! — Aber Feuerbach kann in Folge seiner Kritik den Einzigen nicht niedermetzeln, weil er interessirt ist, weil er sein System gegen ein anderes vertheidigen will, weil er theologisch kritisirt, weil er gesagt haben will, was er nicht gesagt hat, und nicht gesagt haben will, was er gesagt hat. Feuerbach darf darum — das ist der Fluch aller innerlich beherrschten Kritik — sich selber und seine frühern Schriften nicht mehr verstehen. Wie schon eine frühere Aeußerung: "Was mein Verhältniß betrifft zu Strauß und Bruno Bauer, in Gemeinschaft mit welchen ich stets genannt werde, so mache ich hier nur darauf aufmerksam, daß schon in dem Unterschiede des Gegenstandes, wie ihn auch nur der Titel angiebt, der Unterschied unserer Werke angedeutet ist. B. hat zum Gegenstande seiner Kritik die evangelische Geschichte, d.i. das biblische Christenthum, oder vielmehr biblische Theologie, Str. die christliche Glaubenslehre und das Leben Jesu, das man auch unter dem Titel der christlichen Glaubenslehre subsummiren kann, also das dogmatische Christenthum oder vielmehr die dogmatische Theologie, ich das Christenthum überhaupt, d. h. die christliche Religion und als Consequenz nur die christliche Philosophie oder Theologie" — wie Feuerbach hier schon eine Unkenntniß über sich selbst

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und seine Umgebungen verräth, so hat er in dieser theologischen Kritik, wie er beim Einzigen zeigt, einen merkwürdigen Fortgang gemacht. Er will das Wesen des Christenthums gegen den Einzigen vertheidigen. Als ob zwischen 1841 und 1845 kein Unterschied wäre. Als ob ein Werk, das 1841 eine merkwürdige Erscheinung war, weil es in der Zeit stand und in die Zeit eingriff, 1845 noch Werth für die Entwicklung haben, d. h. noch in der Zeit stehen, noch Epoche machend eingreifen könnte. Dann hätte es 1841 nichts genützt, und wäre da, wie überhaupt nie in und an der Zeit gewesen. — Freilich, Feuerbach hat Nichts gelernt und Nichts vergessen. Bei ihm steht die Welt noch auf dem Standpunkte, den das Wesen des Christenthums einnimmt, denn seine Philosophie der Zukunft mit ihrem Materialismus brach schon im Wesen des Christenthums durch. — Folgen wir Feuerbach in seinem Kampf mit dem Einzigen. —

Der Einzige: Feuerbach sagt selbst, es handle sich bei ihm nur um die Vernichtung einer Illusion. — Feuerbach: Ja; aber einer Illusion, mit der alle Illusionen, alle Vorurtheile, alle unnatürlichen — Schranken des Menschen wegfallen, wenn auch nicht auf den ersten Augenblick; denn die Grundillusion, das Grundvorurtheil, die Grundschranke des Menschen ist Gott als Subject. Wer aber seine Zeit und Kraft auf die Auflösung der Grundillusion und der Grundschranke verwendet, dem kann man nicht zumuthen, zugleich auch die abgeleiteten Illusionen und Schranken aufzulösen. — Feuerbach kann also gar nicht so weit denken und dahin folgen, wo der Einzige hinwill. Der Einzige bemüht sich wirklich, die Substanz von Grund aus zu vernichten. Daß er nicht weiß, daß dies einem Dogmatiker unmöglich ist, — das ist sein Fehler; daher die Ironie, die mit ihm spielt, daß er nämlich die Substanz stützt, indem er sie stürzen will. Feuerbach kann es gar nicht einmal einfallen, die Substanz zu Grunde richten zu wollen. Er läßt "das Göttliche" bestehen, weil er es "bestehen lassen muß", "sonst könnte er ja nicht einmal die Natur und den Menschen bestehen lassen". Freilich, nicht diesen vertheologisirten Menschen und dieses Gespenst von Natur. Aber

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was liegt auch an ihnen? Warum soll der Mensch und die Natur bestehen bleiben? Feuerbach kann von den religiösen Kategorien nicht los kommen; er kennt nur "Atheismus", und wird darum den Gott nicht los. —

Der Einzige: Feuerbachs theologische Ansicht besteht darin, daß er Uns in ein wesentliches und unwesentliches Ich spaltet und die Gattung, den Menschen, ein Abstractum, eine Idee als unser wahres Wesen im Unterschiede von dem wirklichen individuellen Ich als dem unwesentlichen hinstellt. — Feuerbach: Einziger! hast Du das Wesen des Christenthums ganz gelesen? Unmöglich; denn was ist gerade das Thema, der Kern dieser Schrift? Einzig und allein die Aufhebung der Spaltung in ein wesentliches und unwesentliches Ich — die Vergötterung, d. h. die Position, die Anerkennung des ganzen Menschen vom Kopfe bis zur Ferse. Wird denn nicht ausdrücklich am Schlusse die Gottheit des Individuums als das aufgelöste Geheimniß der Religion ausgesprochen. Heißt es nicht sogar: "Essen und Trinken ist ein göttlicher Act?" Ist aber Essen und Trinken ein Act einer Idee, eines Abstractums? Die einzige Schrift, in welcher das Schlagwort der neuern Zeit, die Persönlichkeit, die Individualität aufgehört hat, eine sinnlose Floskel zu sein, ist gerade das Wesen des Christenthums, denn nur die Negation Gottes ist die Position des Individuums, und nur die Sinnlichkeit der wohlgetroffene Sinn der Individualität. — Wahrscheinlich hat doch der Einzige das Wesen des Christenthums ganz gelesen und noch besser verstanden, als Feuerbach selbst. Allerdings ist Essen und Trinken, wenn es ein "göttlicher Act" ist, "der Act einer Idee, eines Abstractum," das nicht der Mensch handhabt, sondern das so gütig und gnädig ist, den Menschen durch sich zu erhalten, und das Ende vom Wesen des Christenthums zeigt darum nichts von der Anerkennung des ganzen Menschen. Allerdings ist "nur die Negation Gottes die Position des Individuums", aber nicht blos "die Negation Gottes als Subject," sondern auch und vor Allem die Negation Gottes als Substanz, als Gattungswesen, das den Menschen hat, als der

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Mensch, welcher der "Gott des Menschen," als die Sinnlichkeit, welche die verhärtete und versteinerte Substanz, der phantastische Ausdruck für Gott ist, — und nicht allein die Negation, sondern die gänzliche Aufhebung, Vernichtung und Verwischung aller Transcendenz, sie mag heißen wie sie will, und sein wo sie will. — Das ist allein die Position der Persönlichkeit, der Persönlichkeit, die keine "sinnlose Floskel" mehr ist. Die Sinnlichkeit Feuerbachs hingegen, die der wohlgetroffene Sinn der Individualität sein soll, ist weiter nichts, als im Gegensatze zu Stirner die eine Seite der Substanz Spinozas. Während Stirner das punktuelle Ich, das zum Aeußersten gebrachte "Denken", das ein Attribut der Substanz, auf das Schild gehoben hat, bringt Feuerbach das andere, "die Ausdehnung" und restaurirt diese in der "Sinnlichkeit."

"Das Individuum ist dem F. das absolute, d. i. wahre, wirkliche Wesen. Warum sagt er aber nicht: dieses ausschließliche Individuum? Darum, weil er dann nicht wüßte, was er will — auf den Standpunkt, welchen er negirt, den Standpunkt der Religion zurücksinken würde. Darin besteht eben gerade, wenigstens in dieser Beziehung, das Wesen der Religion, daß sie aus einer Klasse oder Gattung ein einziges Individuum auswählt und als heilig, unverletzlich den übrigen Individuen gegenüberstellt. Dieser Mensch, dieser "Einzige", "Unvergleichliche", dieser Jesus Christus ausschließlich und allein ist Gott, diese Eiche, dieser Hain, dieser Stier, dieser Tag ist heilig, nicht die übrigen." — Aber wählt denn Stirner ein einziges Individuum aus der Gattung aus? Kennt er überhaupt den Gedanken der Feuerbachschen Gattung? Doch Feuerbach fährt weiter fort: "Gib dem einzelnen Individuum nicht weniger als ihm gebührt, aber auch nicht mehr. So nur befreist du dich von den Ketten des Christenthums. Individuum sein heißt zwar allerdings "Egoist" sein, es heißt aber auch zugleich und zwar nolens volens Communist sein. Nimm die Dinge, wie sie sind, d. h. nimm dich selbst, wie du bist, denn wie du die Dinge nimmst, so nimmst du dich und umgekehrt. Schlage dir den "Einzigen" im Himmel, aber schlage dir auch den "Einzigen" auf Erden aus dem

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Kopfe." — Wer ist denn der, der gebietet, wer der, dem befohlen wird: gib! Liegt hier nicht wieder die Menschengattung, die allgemeine Vernunft im Hintergrunde? Gib, sagt diese, dem einzelnen Individuum seine Gebühren. Wie aber, wenn sie dem Feuerbachschen Individuum nicht gegeben würden? Wenn Feuerbach nun die Dinge nicht nähme, wie sie sind; sondern wenn er sie nur nähme, wie er sie in seinem philosophischen Gehirne ausspintisirt, wie sie in seinem Himmel der Philosophie leben können? Wie? Wenn das Individuum nur "Egoist" und nicht auch "Communist", nur "Egoist", wenn auch nicht der von Max Stirner wäre? — Stellt Feuerbach den Behauptungen Stirners etwas Anderes, als Behauptungen entgegen und damit nicht einer so viel Recht als der andere, haben nicht beide Unrecht? — — Doch "folge den Sinnen!" — ruft Feuerbach. "Folge den Sinnen!" sagt er zum zweiten Male, wenn du es etwa überhört haben solltest. "Wo der Sinn anfängt, hört die Religion und hört die Philosophie auf, aber du hast dafür die schlichte, blanke Wahrheit. Hier steht vor deinen Augen eine weibliche Schönheit: du rufst entzückt aus: sie ist unvergleichlich schön. Aber siehe! dort steht zugleich vor denselben Augen eine männliche Schönheit. Wirst du nun nicht nothwendig beide vergleichen? Und wenn du es nicht thust, um auf deiner Unvergleichlichkeit hartnäckig zu bestehen, werden sich die beiden Schönheiten nicht selbst mit einander vergleichen, werden sie sich nicht wundern über ihre Gleichheit trotz des Unterschiedes, über ihren Unterschied trotz der Gleichheit? werden sie sich nicht unwillkürlich einander zurufen: du bist, "was" ich bin, und endlich im Namen des Menschen ihre Ausschließlichkeit durch gegenseitige Umschließungen widerlegen? "Ich liebe nur diese Einzige", sagt der Einzige; Ich auch, ob ich gleich ein ganz communer Mensch bin. Aber ist dieses einzige Weib, das du liebst, eine Aeffin, eine Eselin, eine Hündin, ist es nicht ein menschliches Weib? "Ich bin mehr als Mensch", sagt der Einzige. Bist du aber auch mehr als Mann? Ist dein Wesen oder vielmehr — denn das Wort: Wesen verschmäht der "Egoist", ob es gleich dasselbe sagt — dein Ich nicht ein männliches? Kannst du die Männlichkeit absondern selbst von dem, was man Geist nennt? Ist

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nicht dein Hirn, das heiligste, höchstgestellte Eingeweide des Leibes ein männlich bestimmtes? sind deine Gefühle, deine Gedanken unmännlich? Bist du aber ein thierisches Männchen, ein Hund, ein Affe, ein Hengst? Was anders ist also dein "einziges, unvergleichliches", dein folglich geschlechtloses Ich als ein unverdauter Rest des alten christlichen Supranaturalismus?" — "Folge den Sinnen! du bist durch und durch Mann — das Ich, was du in Gedanken von deinem sinnlichen, männlichen Wesen absonderst, ist ein Product der Abstraction, das eben so viel oder so wenig Realität hat, als die platonische Tischheit im Unterschiede von den wirklichen Tischen. Aber als Mann beziehst Du Dich wesentlich, nothwendig auf ein andres Ich oder Wesen — auf das Weib. Wenn ich also dich als Individuum anerkennen will, so muß ich meine Anerkennung nicht bloß auf dich allein beschränken, sondern zugleich über dich hinaus auf dein Weib ausdehnen. Die Anerkennung des Individuums ist nothwendig die Anerkennung von wenigstens zwei Individuen. Zwei hat aber keinen Schluß und Sinn; auf Zwei folgt Drei, auf das Weib das Kind. Aber nur ein einziges, unvergleichliches Kind? Nein! die Liebe treibt dich unaufhaltsam über dieses Eine hinaus. Selbst schon der Anblick des Kindes ist so lieblich, so mächtig, daß er das Verlangen nach mehreren seines Gleichen unwiderstehlich in dir erzeugt. Eines will überhaupt nur der Egoismus, aber Vieles die Liebe." —

Folge den Sinnen! dann hast du die schlichte blanke Wahrheit d. h. werde Sinn—lichkeit, werde ein Stock und du bist die Wahrheit. Folge den Sinnen! und du hast die Wahrheit, du bist ein fertiger, ein gewesener, ein verwes'ter Mensch. Folge den Sinnen! und du brauchst ferner nicht mehr zu arbeiten, denn du hast die Wahrheit, du bist Eins mit der göttlichen, Nichtsbedürftigen Natur. — Aber, guter Feuerbach, wird der Einzige antworten, siehst du denn auch mit deinen Sinnen nicht mehr? Siehst du nicht, daß die weibliche Schönheit von der männlichen und die männliche von der weiblichen totaliter verschieden ist? Siehst du nicht, daß beide Schönheiten keinen Einheitspunkt haben und keine Vergleichung dulden und daß derjenige, der sie

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vergleicht, nur eine platonische Tischheit, weiter nichts in beiden gleich findet, als das abstracte, todte, Nichtssagende Wort: Schönheit? Sind nicht alle Züge der weiblichen Schönheit andere, als die der männlichen? Liegt nicht die Schönheit des Weibes im Zarten, im Weichlichen, im Weiblichen, und die des Mannes im Starken, im Kräftigen, im Männlichen? Bilden nicht allein schwellende, abgerundete Glieder und ein wogender, wallender, wellenförmiger Körperbau die Schönheit des Weibes, während die des Mannes im Muskulösen, Körnigen, Knochigen, Markigen besteht? — "Ich liebe nur diese Einzige," sagt der Einzige. Und Feuerbach? Ich auch, aber ich nur das menschliche Weib. Denn ist dieses einzige Weib, das du liebst, eine Aeffin, eine Eselin, eine Hündin? — Nein, das ist sie nicht, setzt ihm der Einzige entgegen, aber auch ein menschliches Weib nur, insofern eins ihrer Prädicate auch das Menschsein ist. Sie ist ein Weib, weiter nichts, das Weib, dieses bestimmte, dieses einzige Weib vom Kopf bis zu den Zehen. Communist, warum liebst du denn gerade dieses Weib? Sag, warum diese? Müßtest du nicht Alle lieben, Alle, in dem Sinne, daß es dir ganz gleich wäre, welche der Weiber du umschlössest, weil sie doch Alle "Weiber" sind? Du liebst nur diese Einzige, weil du Egoist bist, weil sie eine Einzige ist, weil du nur mit einer Einzigen einen Verein eingehen kannst. Du umschließt nur diese Einzige — nicht diese Eine, — weil Du Egoist bist, weil sich Gleiches nicht erst zu umschließen braucht, sondern stets umschlossen ist, weil nur Ausschließliches sich umschließen muß. Bleib also zu Hause mit deiner pathetischen, kanzelberedsamkeitlichen Phrase: "Im Namen des Menschen widerlegen sie ihre Ausschließlichkeit durch gegenseitige Umschließungen." Nein, nicht im Namen, in keines Namen, nur weil sie's wollen, umschließen sich gegenseitig Einzige. — "Ich bin mehr als Mensch" sagt der Einzige. Und Feuerbach? Bist du auch mehr als Mann? fragt er neugierig. Allerdings auch mehr als Mann, lautet die Antwort des Einzigen. Mein Ich ist auch ein männliches, aber es hat außerdem noch mehrere Eigenschaften, es ist auch ein fühlendes, ein denkendes. Und wenn auch Fühlen und Denken männlich bestimmt sind, so ist

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doch auch die Männlichkeit wieder durch Fühlen und Denken bestimmt, und zwar durch das einzige Fühlen und Denken dieses einzigen Menschen. Und wenn dieser Mensch durch und durch Mann und weiter nichts wäre, wie kann sich und wie kann Feuerbach oben die männliche Schönheit mit der weiblichen vergleichen? — — Dein einziges, unvergleichliches Ich ist folglich geschlechtslos, — schließt Feuerbach. Wer berechtigt dich zu diesem Schlusse? ruft Stirner. Als ob mein Ich, Ich, dieser Einzige, nicht auch dieses bestimmte, vor allem andern einzige Geschlecht und diese bestimmten, einzigen Geschlechtsorgane hätte. Als ob ich nicht gerade durch dieses bestimmte Geschlecht ich, der Einzige auch mit einzig wäre. Feuerbach, folge den Sinnen! dann wirst du finden, daß dein Ich allerdings nicht von deinem sinnlichen, männlichen Wesen abgesondert werden kann, daß aber auch deine Mannheit nur eine Bestimmtheit, eine Eigenschaft deines Ich ist, die es in sich umfaßt und umschließt, und mit der es sich bloß deshalb auf das andere, einzige Ich, auf dieses einzige Weib — nicht auf ein anderes Ich, nicht auf das Weib — bezieht, weil es will, weil es, ein einziges Ich, ein anderes einziges Ich außer sich sieht. — Du meinst, um mich als Individuum anzuerkennen, müssest du auch mein Weib anerkennen. Allerdings, aber nur weil sie mein Weib ist; ob Du das Weib überhaupt anerkennst, ist mir ganz gleich, nur das "mein" sollst und mußt du anerkennen, weil du "mich" anerkennen mußt. Und du folgerst daraus, weil du mein Weib, wie sie mein's ist, anerkennen mußt, daß die Anerkennung des Individuums nothwendig die Anerkennung von wenigstens zwei Individuen ist? — Feuerbach, hast du mich, den Einzigen, wirklich ganz gelesen? Und wenn du mich gelesen hast, hast du mich wirklich so schlecht verstanden, daß du glaubst, ich habe es nur mit der Zahl Eins zu thun und du darum, ohne lächerlich zu werden, von Eins zu Zwei, von Zwei zu Drei, von Drei zu Vier etc. fortzählen dürftest? — Nicht Eines will der Egoismus überhaupt, sondern Einziges: jedes Exemplar —

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Der Einzige: "F. flüchtet aus dem Glauben in die Liebe." — Feuerbach: "O wie falsch! F. begiebt sich mit festen, sichern Schritten aus dem Reich der speculativen und religiösen Träume in das Land der Wirklichkeit, aus dem abstracten Wesen des Menschen in das wirkliche ganze Wesen desselben, aber die Liebe allein für sich erschöpft nicht das ganze Wesen des Menschen. Zum Lieben gehört auch Verstand, das "Gesetz der Intelligenz;" eine verstandlose Liebe unterscheidet sich in ihren Wirkungen nicht vom Hasse, denn sie weiß nicht, was nützlich oder schädlich, zweckmäßig oder zweckwidrig ist. Warum hebt aber F. so die Liebe hervor? Weil es keinen andern praktischen und organischen, durch den Gegenstand selbst dargebotenen Uebergang vom Gottesreich zum Menschenreich giebt, als die Liebe, denn die Liebe ist der praktische Atheismus, die Negation Gottes im Herzen, in der Gesinnung, in der That." — "Jede Liebe ist egoistisch, denn ich kann nicht lieben, was mir widerspricht; ich kann nur lieben, was mich befriedigt, was mich glücklich macht; d. h. ich kann nichts Andres lieben, ohne eben damit zugleich mich selbst zu lieben. Aber gleichwohl ist ein begründeter Unterschied zwischen dem, was man selbstsüchtige, eigennützige und dem, was man uneigennützige Liebe nennt. Welcher? in Kürze dieser: in der eigennützigen Liebe ist der Gegenstand Deine Hetäre, in der uneigennützigen deine Geliebte. Dort befriedige ich mich, wie hier, aber dort unterordne ich das Wesen einem Theil, hier aber den Theil, das Mittel, das Organ dem Ganzen, dem Wesen, dort befriedige ich eben deswegen auch nur einen Theil von mir, hier aber mich selbst, mein volles, ganzes Wesen. Kurz: in der eigennützigen Liebe opfre ich das Höhere dem Niederen, einen höhern Genuß folglich einem niedrigeren, in der uneigennützigen aber das Niedere dem Höheren auf." —

Feuerbach erfüllt mit seinem Liebesevangelium das christliche Evangelium: das Christenthum ist seinem Begriffe und seinem Wesen nach die Liebe. Die Liebe aber ist "das Ur-Philiströse" der Menschheit, die Vollendung der Gemüthsseligkeit, der Höhepunkt der Ausleerung und Aushöhlung des Menschen. Die Liebe ist ein Product der Schwäche, der Halt- und Rathlosigkeit des Menschen in und mit sich selber: das

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Bedürfniß, ein Anderes als sich selbst zu suchen, über sich hinaus zugehen, zeugt sie. Sie ist ein Zeugniß, daß der Mensch sich nicht selbst bestimmen kann, sondern von Außen, durch und für Anderes bestimmt wird. Sie ist der objectiv hin- und aufgestellte Mangel an Selbstbewußtsein und Persönlichkeit. Sie ist das Zeichen, daß der Mensch keinen Eigenwillen hat, d. h. daß er kein Mensch ist. Die Liebe muß über sich hinaus, sich hingeben und ergeben, übergeben und aufgeben, — ein ununterbrochenes Opferfest. Vor der Liebe muß Alles, was den Menschen zum Menschen macht, zerfallen und "auf Sklaven-Schultern hoch emporgehoben proclamirt sie die Alleinherrschaft der — Willenlosigkeit." "Nicht mein, sondern Dein Wille geschehe." — Die Braut von Korinth spricht jene grausenvollen Worte aus, mit denen das entsetzliche Verbrechen der Liebe gegen die Freiheit enthüllt wird:

"Opfer fallen hier
Weder Lamm noch Stier,
Aber Menschenopfer unerhört!"

Die Liebe ist nicht "verstandlos," aber auch nicht verständig, weil sie nur ihre Gesetze, nicht aber die des Verstandes kennt. Die Liebe ist nicht "atheistisch", sondern der Grund aller Gottesverehrung. Die Liebe ist nicht egoistisch, sondern communistisch, denn sie thut Nichts um ihretwillen, Alles um Anderer willen. Auf dem Höheren, dem Anderen, dem sie sich zu ergeben hat, liegt für die Liebe der Accent. Eigennützig ist die Liebe nur, insofern der Mensch deshalb, weil er es nicht in sich und bei sich, dem Elenden, dem Niedrigen aushalten kann, an ein Höheres sich hingiebt, — ist aber dies noch Eigennutz? — sonst ist sie uneigennützig: sie giebt sich hin, — auf. Der wirkliche, persönliche, selbstbewußte Mensch ist nicht die Liebe, weil ihn nichts außer ihm, nur er sich selbst bestimmt, weil er sein Dasein keinem äußern Anstoße, keinem Höheren, sondern sich selber verdankt, weil er Schöpfer und Geschöpf in Einem ist. Der wirkliche, persönliche, selbstbewußte Mensch hat die Liebe, er verbraucht sie, nicht sie ihn, sie ist seine Eigenschaft; er giebt sich dem Andern hin, weil er will, nicht weil er muß, er lebt für den Andern, weil er sich seiner würdig gemacht hat, weil er es ver-

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dient; mit einem Worte: für ihn existirt die Liebe nicht, weil sie ihm nicht imponirt. — Feuerbachs Liebe ist die Liebe "im phantastischen, supranaturalistischen Sinne." Denn wenn er auch sagt: "Sein heißt sich selbst lieben." "Kein Wesen kann sich selbst negiren" — unterscheidet er doch nicht zwischen eigennütziger und uneigennütziger Liebe? Und was kann die uneigennützige Liebe, die doch bei ihm die alleinige Liebe ist, anders sein, als ein sich ohne eigenen Nutzen Hin- und Aufgeben, als ein anspruchloses Aufgehen im Höheren? Muß nicht jede uneigennützige Liebe ein "Höheres" kennen, für das sie eben uneigennützig ist? Kann aber der Mensch diesem Höheren noch, oder muß er ihm nicht vielmehr Liebe zollen? Hat das Höhere nicht das Niedere, sondern kann auch das Niedere das Höhere haben? — So lange der Mensch ein "Höheres" kennt, hat ihn die Liebe und zwar die Liebe "im supranaturalistischen Sinne" — eine andere giebt's nicht.

"'Wir sind allzumal vollkommen' sagt der Einzige wahr und schön; aber gleichwohl fühlen wir uns beschränkt und unvollkommen, weil wir uns nothwendig — nothwendig, denn wir sind nun einmal reflectirende Wesen — nicht nur mit Andern vergleichen, sondern auch mit uns selbst, indem wir das, was wir geworden sind, mit dem, was wir werden konnten, unter andern Verhältnissen vielleicht wirklich geworden wären, zusammenhalten. Wo sollen wir uns nun von diesem Beschränktheitsgefühl erlösen, wenn nicht in dem Gedanken der unbeschränkten Gattung, d. h. in dem Gedanken anderer Menschen, anderer glücklicherer Zeiten? Wer die Gattung daher nicht an die Stelle der Gottheit setzt, der läßt in dem Individuum eine Lücke, die sich nothwendig wieder durch die Vorstellung eines Gottes d. h. des personificirten Wesens der Gattung ausfüllt. Nur die Gattung ist im Stande, die Gottheit, die Religion aufzuheben zugleich und zu ersetzen. Keine Religion haben, heißt: nur an sich selbst denken; Religion haben: an Andere denken. Und diese Religion ist die allein bleibende, wenigstens so lange, als nicht ein 'einziger' Mensch nur auf Erden ist; denn so

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wie wir nur zwei Menschen, wie Mann und Weib, haben, so haben wir auch schon Religion. Zwei, Unterschied ist der Ursprung der Religion — das Du der Gott des Ich, denn Ich bin nicht ohne Dich; Ich hänge vom Du ab; kein Du — kein Ich."

Können wir es Feuerbach wehren, wenn er religiös sein will? Nein. Jeder Mensch ist das, was er sein kann und wird das, was er werden kann, weil jeder sein eigenes Geschöpf, sein eigenes Machwerk ist. Wehren können wir es ihm nicht und wollen es auch nicht, aber sagen können wir ihm, daß er kein Mensch ist und daß er keine Menschen, sondern nur religiöse Geschöpfe, Gläubige schaffen kann. Der wahre Mensch ist sich selbst genug. Er wird von keiner Passion angewandelt und umgewandelt. Er läßt sich nicht bestimmen, sondern bestimmt sich aus sich selbst. "Er vernimmt sich und findet in diesem Selbstvernehmen den Antrieb zur Selbstbestimmung: nur sich vernehmend handelt er." Es ist sein absolutes Vorrecht, durch seine eigene Kraft allen Zwiespalt in sich und um sich in Einklang zu bringen. Er löst sich selbst von allen Fesseln, und — ist gelöst. Er ist stets und selbst der Größte und kann der Größte sein durch sich selbst und in sich selbst und mit sich selbst. Darum hängt er von keinem Du, von keinem Gott und keinem Menschen, — nur von sich selber ab. — Der wahre Mensch weiß nur, was er geworden ist, nicht was er werden wird, — er verlangt auch nicht danach. Er stellt sich kein Ziel und hat keine Sehnsucht nach einem Ziele; denn er ist auf jedem Punkte vollkommen, weil er das ist, was er werden konnte und nur werden konnte, — Mensch. Was Anderes als Mensch, als dieser Mensch konnte er gar nicht werden, denn für ihn existiren keine anderen Verhältnisse, als die, in denen er geworden, für ihn darum kein Weg, als der, auf dem er gegangen ist. Reflexion auf das und über das, was man hätte werden können, wenn das und das und das etc. geworden und gekommen wäre, ist — Religion. — Den hat der religiöse Feuerbach. Er kann sich aus seinem: Folge den Sinnen! nur in den Gedanken der unbeschränkten Gattung, in die ewige Seligkeit retten und flüchten, vielmehr er ist geblieben, was er war, denn sein: Folge den Sinnen! ist und war auch nur ein Ge-

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danke. — Er muß gleich was setzen, wenn er was nimmt, die Stelle, wo er abräumt, wieder mit Schutt überschütten — das ist seine Bestimmung — Er hat eine solche, — sein Beruf, seine Aufgabe; dazu zwingt ihn sein Beschränktheitsgefühl. — Er stimmt hierin mit dem Einzigen überein; denn die Einzigkeit, die dieser aufgestellt, ist auch nur die Flucht vor der Wissenschaft und die Liebe zu etwas Festem und Bestimmtem. Feuerbach und der Einzige haben sich deshalb in ihrer gegenseitigen Kritik auch nur gezankt. "O wie falsch!" "Ja." "Nein", — den Zeugnissen der Ohnmacht und Schwäche, — damit widerlegen sich beide, denn damit zieht sich Jeder in seinen Egoismus, in seine Behäbigkeit zurück.

Der Einzige: "Feuerbach bekleidet seinen Materialismus mit dem Eigenthum des Idealismus." — Feuerbach: "O wie aus der Luft gegriffen ist diese Behauptung. F., Einziger!, ist weder Idealist, noch Materialist. Dem F. sind Gott, Geist, Seele, Ich bloße Abstractionen, aber eben so gut sind ihm der Leib, die Materie, der Körper bloße Abstractionen. Wahrheit, Wesen, Wirklichkeit ist ihm nur die Sinnlichkeit. Hast du aber je einen Leib, eine Materie gefühlt, gesehen? Du hast ja nur gesehen und gefühlt dieses Wasser, dieses Feuer, diese Sterne, diese Steine, diese Bäume, diese Thiere, diese Menschen: immer und immer nur ganz bestimmte, sinnliche, individuelle Dinge und Wesen, aber immer weder Leiber noch Seelen, weder Geister noch Körper. Aber noch weniger ist F. Idealist im Sinne der absoluten Identität, welche die beiden Abstractionen in einer dritten Abstraction vereinigt. Also weder Materialist noch Idealist, noch Identitätsphilosoph ist F. Nun was denn? Er ist mit Gedanken, was er der That nach, im Geiste, was er im Fleische, im Wesen, was er in den Sinnen ist — Mensch; oder vielmehr, da F. nur in die Gemeinschaft das Wesen des Menschen versetzt —: Gemeinmensch, Communist."

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Feuerbach stellt sich und steht hiermit dem Einzigen gegenüber. Er ist und will sein Communist, dieser ist und soll sein Egoist; Er der Heilige, dieser der Profane; Er der Gute, dieser der Böse; Er der Gott, dieser der Mensch; Beide — Dogmatiker.

Während Stirner mit seinem abstracten Egoismus nicht weiter und nicht vom Flecke kommt, sondern beim Anfange auch schon am Ende ist, weil ein "Juchhe!" sein ganzes Leben einnimmt und ausmacht, ein "Juchhe!" alle Lasten seines Lebens verscheucht, "ein Ruck" ihm die Dienste des sorglichsten Denkens versieht, "ein Recken der Glieder" die Qualen der Gedanken abschüttelt und "ein Aufspringen" den Alp der religiösen Welt von der Brust schleudert: ist der Dogmatismus Feuerbachs hingegen eines Weitergehens und einer Entwicklung fähig. Er hat dieselbe bereits erhalten.

[138-143: Replik auf »Die heilige Familie. Gegen Bruno Bauer und Consorten« von Karl Marx und Friedrich Engels, das im März 1845 erschienen war]

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Was Engels und Marx noch nicht konnten, das vollendet M. Heß. Er stößt in die Posaune und "die letzten Philosophen" werden ihres Heiligenscheins entkleidet, unbarmherzig vor das Gericht geschleppt und zur Hölle und zum ewigen Feuer verdammt. Scheinbar mit ihnen auch Feuerbach: "die Feuerbachsche Philosophie der Zukunft" ist nichts, als eine Philosophie der Gegenwart, aber einer Gegenwart, die dem Deutschen noch als Zukunft, als Ideal erscheint. Was in England, Frankreich, Nordamerika und anderwärts gegenwärtige Wirklichkeit ist, der moderne Staat mit der ihm gegenüberstehenden, ihn ergänzenden bürgerlichen Gesellschaft, das wird in den »Grundsätzen zur Philosophie der Zukunft« philosophisch, theoretisch ausgesprochen. Feuerbach spricht es z. B. aus, daß die Philosophie als solche überwunden, negirt, verwirklicht werden müsse. Aber wie? — Ueber das Wie ist er, wie der moderne Staat, mit sich selbst im Widerspruche. Einmal versteht er unter dem "wirklichen" Menschen den vereinzelten Menschen der bürgerlichen Gesellschaft, unter der "Wirklichkeit" die "schlechte Wirklichkeit", mit ihrem Rechte, mit ihrer Ehre, mit ihrem

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Eigenthum — einmal huldigt er dem bornirten Individualismus, dem praktischen Egoismus — ein anderes Mal anticipirt er dagegen den Gesellschaftsmenschen, den "Gattungsmenschen", "das Wesen des Menschen" und nimmt an, daß dieses Wesen im einzelnen Menschen, der es eben erkennt, steckte — was "philosophischer Schwindel und moderne Staatsweisheit ist". Diese Kritik ist jedoch mit sich selber und mit ihrem Minister nicht recht im Klaren. Sie hat in einzelnen Punkten den Feuerbach nicht capirt, oder auch das Gefäß will sich gegen den Töpfer empören, M. Heß, der consequente Schüler Feuerbachs, will erhaben über Feuerbach, selbstständig, "allein" und "einsam" in einer Welt dastehen, die auf ihn warten mußte, um das längst gesuchte Wort des Räthsels zu finden. "Der Gattungsmensch" — das ist der gefundene Stein der Weisen — "ist doch nur wirklich in einer Gesellschaft, in welcher alle Menschen sich ausbilden und auswirken, oder sich bethätigen können." "Lieben, schaffen, arbeiten, produciren, ist unmittelbarer Genuß; ich kann nicht lieben, ohne zugleich zu leben, wohl zu leben — ich kann nicht produciren, ohne zugleich zu consumiren, zu genießen. Auch der Egoist will genießen! Wodurch unterscheidet sich also der Egoismus von der Liebe? — Dadurch, daß der Egoist das Leben ohne Liebe, Genuß ohne Arbeit, Consumtion ohne Production, daß er immer nur zu sich nehmen und nimmer von sich geben, d. h. niemals sich hingeben will." "Ich schaffe und liebe keineswegs, um zu genießen, sondern liebe aus Liebe, schaffe aus Schöpferlust, aus Lebenstrieb, aus unmittelbarem Naturtrieb." — "Der Socialismus macht mit der Verwirklichung und Negation der Philosophie Ernst, läßt die Philosophie wie den Staat bei Seite liegen, schreibt keine philosophischen Bücher über die Negation der Philosophie, spricht nicht bloß aus, daß, sondern wie die Philosophie als bloße Lehre zu negiren und im gesellschaftlichen Leben zu verwirklichen ist." — Diese Klugheit, welche die Gattung Feuerbachs als "Socialismus" aufstellt und befestigt — diese Klugheit, die "mit der Aufhebung des Staates und Philosophie Ernst macht", indem sie "Philosophie und Staat bei Seite liegen läßt", macht sich dennoch aus unendlicher Erbarmung, der Kleinen und Unmündigen wegen an das

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saure Geschäft, Bruno Bauer und Max Stirner in ihr Nichts zu werfen. Zwar ist es ihr bloß um Stirner zu thun. Doch "um den "Einzigen" zu beleuchten", muß sie, "wenn auch nur beiläufig", den "Einsamen" hinzuziehen. Denn — das ist die neueste Neuigkeit — der "Einsame", "der moderne Säulenheilige" und der "Einzige" haben "sich gegenseitig, wie Staat und bürgerliche Gesellschaft, zur Voraussetzung." "Die Consequenz des "Einzigen" rationell ausgedrückt, ist der kategorische Imperativ: Werdet Thiere!" — "Die Consequenz "des "Einsamen", rationell ausgedrückt, ist der kategorische Imperativ: Werdet Pflanzen!" "Das Ideal Stirners ist die bürgerliche Gesellschaft, welche den Staat — die Thierwelt, welche die Pflanzenwelt zu sich nimmt". "Das Ideal Bauers ist der Staat, welcher die bürgerliche Gesellschaft — die Pflanzenwelt, welche die Thierwelt in sich aufhebt." "Der "Einsame" ist der Egoist mit greisen Haaren, ein verkindischter Alter, der "Einzige" ist ein altkluges Kind." "Der "Einsame" ist der Sclave auf dem Throne; der "Einzige" ist der Sclave, der seine Ketten gebrochen hat." "Bauer hat sich den theoretischen, Stirner den practischen Unsinn in den Kopf gesetzt." — Was soll es aber mit diesen "Unsinnigen" werden? — M. Heß weiß es. "Vereinigt, würden sie, wie unsere Zustände und wie ihr philosophischer Repräsentant Feuerbach, nothwendig einer ferneren Entwicklung entgegengehen und man hätte die Hoffnung, sie einmal als Socialisten auferstehn zu sehen, nachdem sie der innere Widerspruch aufgerieben." — Siehe, so mußte Feuerbach enden. Er hat gegen alle Hegelschen Kategorieen gekämpft, wie und was er nur konnte. Wie er sie bekämpft und besiegt hat, zeigt sich in seinen Consequenzen. "Vereinigt!" ruft M. Heß. Die Gegensätze müssen sich in der höheren Einheit aufheben, — hatte Hegel gesprochen. "Entwicklung!" ruft M. Heß. Hegel hatte es ihm erst vorgesagt. — "Es lebe Hegel!" ruft Feuerbach in seinen Schülern. — Aber damit die Philosophie auch fromm ende und ewig selig werde, so legt sie vor ihrem Tode noch ihr Glaubensbekenntniß ab und bekennt sich in ihm zu den Kategorieen der Religion. Sie läßt die "Hoffnung" nicht sinken. "Hoffe Herz nur in Geduld, endlich wirst

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du Frieden schmecken": so hofft und hofft und hofft sie — wie der Christ. Sie "glaubt": das ist ihr Angelstern und ihr Stab, der auf der Pilgrimfahrt durchs Leben leitet. Sie "glaubt", daß sich "der innere Widerspruch", das Böse "aufreiben", und die Vorsehung auch das Böse zum Guten herrlich hinausführen werde — wie der Christ. Sie "glaubt", daß die, die jetzt "getrennt, wie sie sind, einsam, einzig, ohne leben, ohne sterben, ohne auferstehen zu können" — "einmal als Socialisten auferstehen" werden (und "auferstehen" müssen sie einmal — das hilft Alles nichts), sie "glaubt" also an die Auferstehung — wie der Christ. —

Sprechen wir über Feuerbach und seine Philosophie den Segen seines Herrn. —


Ein Service von Max Stirner im LSR-Projekt