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Sigmund Freud vs. Wilhelm Reich
und
Karl Marx vs. Max Stirner

Eine merkwürdige Anzeige
und ihre merkwürdigen Folgen

von Bernd A. Laska


Hinweis: Der Titel dieser Seite wurde aufgrund medienspezifischer Erwägungen gewählt und kann insofern irreführend sein, als er die angesprochenen Thematiken nur unter einem bestimmten, dazu sekundären Aspekt behandelt. Dennoch ist bei » L S R « richtig, wer sich für die Konflikte Freud vs. Reich und Marx vs. Stirner interessiert. Mehr zum erstgenannten steht derzeit unter Sigmund Freud contra Wilhelm Reich; mehr zum zweitgenannten unter Max Stirner redivivus; Teil 1: Über Marx und die Marxforschung und in dem Buch Ein dauerhafter Dissident.

 

Sigmund Freud

    

Die nebenstehend reproduzierte, einspaltige Anzeige des Rowohlt-Verlages erschien Anfang 1988 in mehreren Zeitschriften (z.B. Psychologie heute, Februar 1988, S. 39; Titanic, Januar 1988, S. 51). Diese Anzeige ist unter mehreren Aspekten merkwürdig bzw. bemerkenswert.

1) Sie benutzt Freud als "Aufmacher", stellt eine provokative Frage, ist aber eine Sammelanzeige für Rowohlts Bildmonographien zu "bedeutenden Medizinern und Psychologen".

2) Letzteres merkt der Leser erst nach genauer Lektüre des kleingedruckten Textes.

3) Dort aber ist eine Antwort auf die Blickfangfrage "Wen verdrängte Freud?", entgegen der anfänglichen Suggestion, wiederum nicht zu finden. Es wird auch nicht gesagt, dass sie in einem der dort genannten Bände über Freud / Paracelsus / Adler / Mitscherlich zu finden ist. Sie steht tatsächlich auch nicht in dem Freud-Band -- sondern in einem Band, der in dieser Aufzählung fehlt, in dem über Wilhelm Reich.

4) Der Reich-Band ist darunter zwar abgebildet, aber ohne Hinweis darauf, dass darin und nur darin auf jene Frage eingegangen wird.

5) Diese Merkwürdigkeiten des Anzeigenaufbaus scheinen keine blossen Nachlässigkeiten zu sein, sondern lassen eine klassische "Freud'sche Fehlleistung" des Gestalters oder eine bewusst verklausulierte, gleichwohl nur sehr wenigen Kennern verständliche Botschaft vermuten.

6) Die Frage "Wen verdrängte Freud?" weist in ihrer geschickt doppelsinnigen Formulierung auf einen intimen Kenner des Konflikts zwischen Freud und Reich hin, denn: Freud verdrängte Reich zum einen aus der von ihm geführten psychoanalytischen Bewegung, machte ihn zu deren Unperson; er verdrängte (in dem von ihm selbst gefundenen Sinn) aber auch Reichs ihm bedrohlich erscheinende Einsichten aus seinem eigenen Bewusstsein. (Vgl. dazu Freud contra Reich).

7) Die These, dass Freud in seinem Schüler Reich seinen Antipoden erkannt hatte, die argumentative Auseinandersetzung mit ihm aber vermeiden wollte; dass er dies tat, weil Reichs Beiträge zu Psychoanalyse und ihre kulturtheoretischen Konsequenzen ihm bedrohlich erschienen und er deshalb (und nur sekundär, sozusagen zur Tarnung, aus politischen Gründen) schliesslich zu sehr unfeinen Methoden Zuflucht nahm und Reich von den Funktionären der Psychoanalytischen Vereinigung kaltstellen liess, diese These wird, auch nach Bekanntwerden neueren, sie stützenden Archivmaterials, nur in meiner Monographie über Reich vertreten -- und bis dato mit Schweigen bedacht.
(Wer immer Reich ein wenig zu "rehabilitieren" trachtete, wie zuletzt 1997 Fallend / Nitzschke, mied die gründliche Thematisierung des (kultur-)theoretischen Konflikts zwischen Freud und Reich. Wer diese Frage explizit aufgeworfen hatte, wie z.B. Grunberger / Chasseguet-Smirgel in ihrem Buch "Freud ou Reich?" 1976, dt. 1979), tat dies rein rhetorisch, denn die Antwort war nicht fraglich.)
 

Was immer es mit dieser Anzeige des Rowohlt-Verlags auf sich gehabt haben mag, wie immer sie vom durchschnittlichen Publikum verstanden worden sein mag -- in mir weckte sie obige Gedanken und die spontane Idee, mich mit folgender Ideenskizze an den Herausgeber der Rowohlt-Monographien zu wenden. Dass ich, wie die Daten zeigen, dies erst fast zwei Jahre später tat, liegt an meinen vorgängigen Erfahrungen mit dem Verlag, die ich unten, bevor ich auf die Folgen meines Vorschlags eingehen werde, schildere.

  

21.9.1989
S. g. Herr Schröter,

falls Rowohlt Gefallen daran fände,
eine solche ------------>
Anzeige drucken zu lassen,
könnte ich das passende
Manuskript dazu liefern.
Haben Sie jetzt Interesse?

Mit freundlichen Grüssen
gez. Laska

Reich über Stirner:
 

"...der Gott,
der 1844 sah,
was wir heute nicht sehen."

["wir" = Freud und die
Psychoanalytiker]

 

Vorgeschichte:

5.2.1979: Brief Laska an Kurt Kusenberg, den Herausgeber der Rowohlt-Bildmonographien, mit dem Vorschlag, einen Band über Wilhelm Reich zu schreiben (Referenz: meine Übersetzung von Reichs "The Murder of Christ", "Christusmord", erschienen 1978 beim Walter-Verlag, Olten/CH). Rowohlt ist einverstanden, Vertragsabschluss, Termin für die Manuskriptabgabe 31.3.1980.
Ich schreibe, aus dem Fundus meiner langjährigen Beschäftigung mit Reich und dessen Rezeption schöpfend, die Reich-Monographie, besorge die Bilder und liefere das Manuskript pünktlich ab.
6.5.1980: Grosses Lob ("vorzüglich") des Textes -- der dann auch unverändert gedruckt wird.
Da mir damals Reichs Nähe zu Stirner deutlicher bewusst, Stirner mir immer interessanter wird (vgl. "'Früher' contra 'später' Reich..."), folgt:
21.4.1981: Brief Laska an Kusenberg mit dem Vorschlag, eine Bildmonographie über Stirner zu schreiben. Einverstanden.
19.6.1981: Vertragsabschluss über romono "Max Stirner".
27.9.1982: Abgabe des Manuskripts "Max Stirner".
Es folgt eine, wie mir eine Mitarbeiterin der Monographien-Redaktion am Telefon sagte, bei Vertragsarbeiten von einem hausbekannten Autor bei Rowohlt ausgesprochen seltene Reaktion:
20.10.1982: Ein kurzer Brief von dem neuen (Kurt Kusenberg war in den Ruhestand getreten) Herausgeber der Reihe, Klaus Schröter: "Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Ihre Darstellung ... nicht geeignet ist."
Gründe:
1) Das biographische Material sei zu karg (was nun mal bei Stirner nicht zu ändern ist, B.A.L.).
2) Es sei "keine historische Analyse" geliefert worden.
3) Die "unhistorische Perspektive", in Stirner einen Vorläufer von Reich zu sehen, sei "für eine Deutung nicht tragfähig".
Die Verklausulierungen der Punkte 2) und 3) lassen vermuten, dass meine unkonventionelle Analyse der Reaktion von Marx auf Stirner ein gewichtiger Stein des Anstosses ist. -- Folgen: Pauschale Ablehnung. Keine weitere Erklärung. Kein Wort von einem Vertragsverhältnis. Kein Wort darüber, ob der Text zu ändern, zu ergänzen, zu erneuern wäre. Es ist -- auch aufgrund anderer, hier nicht aufzuführender Anhaltspunkte -- sofort klar, dass Schröter Stirner nicht in die Reihe aufnehmen will. Und der Verlagsvertrag ist so abgefasst (und wird m.W. von den Autoren in der Regel so akzeptiert), dass er dem Autor nur wenige Rechte einräumt -- jedenfalls in einem solchen Fall wenig nützt, so dass die investierte Arbeit unbezahlt bleibt.
21.2.1983: Nach einigen Briefen hin und her holt Rowohlt ein Gutachten von Bernd Kast (der mit einem Stirner-Thema promoviert hatte) über das Manuskript ein. Das Ergebnis überrascht nicht. Schröter: "Ich finde mein ... Urteil über den mangelnden philosophischen und philosophiegeschichtlichen Inhalt Ihrer Arbeit mit diesem Gutachten durchaus bestätigt." Pauschale Ablehnung des Manuskripts bekräftigt.
17.3.1983: Ich beauftrage einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung meiner Interessen und stimme schliesslich einem aussergerichtlichen Vergleich zu.

[Ende der Vorgeschichte.]

Und so ging's weiter:

Warum ich nach dieser kaltschnäuzigen Abfertigung, wenn auch sechs Jahre später, erneut bei Rowohlt anklopfte, erinnere ich nicht mehr genau. Die oben abgebildete Freud-Reich-Anzeige, deren Konzept vom Herausgeber stammen oder zumindest gebilligt worden sein musste, schien mir vage Gutes verheissen zu können. Hinzu kam der allgemeine Geltungsverfall des Marxismus zu jener Zeit, der mich nun eine objektivere Würdigung meiner Arbeit erwarten liess. Ich wollte mit der persiflierenden Marx-Stirner-Montage (deren formale Analogie ja im übrigen inhaltlich gut trifft) zwar einen subtilen Bezug zu dem alten Vorgang herstellen, zugleich aber signalisieren, dass über diesen meinetwegen nicht mehr geredet zu werden braucht.

Ich hatte doppeltes Glück. Schröter -- an den ich noch adressiert hatte -- war wenige Monate zuvor, am 30.6.1989, als Herausgeber der Reihe ausgeschieden, und sein Nachfolger, Wolfgang Müller, liess mich am 2.10.1989 wissen: "Dank für Ihr phantasievolles und recht ungewöhnliches Schreiben, in dem Sie uns eine Max-Stirner-Monographie anbieten. Wir sind sowohl von Ihrer Anzeige wie auch von Ihrem Angebot sehr angetan." Die Redaktion erwarte "mit Spannung" mein Exposé -- welches ich bald nachreichte. Am 10.11.1989, etwas verzögert wegen der Buchmesse, kamen folgende Zeilen von der Redaktion: "Ihr Exposé und auch Ihr Rohmanuskript haben einen überaus überzeugenden, um nicht zu sagen souveränen Eindruck auf uns gemacht." Einem Vertrag stehe nichts mehr im Wege.

Ich wollte allerdings einer Wiederholung des oben geschilderten Vorgangs vorbeugen und schlug deshalb am 16.11. vor, im Vertrag die Honorarfälligkeit nicht "nach Prüfung und Annahme", sondern "nach Ablieferung" des Manuskripts zu vereinbaren -- schliesslich kannte man meine Reich-Monographie und mein Konzept für das Stirner-Buch. Müller interpretierte dies zunächst so, als ob es mir um eine zeitlich frühere Zahlung des Honorars ginge. Ich präzisierte deshalb am 14.12., worauf es mir ankäme: "... auf eine klarere Fassung der Rechte der Parteien beim Annahmeverfahren. Denn: Mir ist ein Fall sehr gut bekannt, bei dem ein auf eben dieser Vertragsgrundlage erstelltes Manuskript kurzerhand abgelehnt wurde, ganz offenbar, weil der Titel als solcher dem inzwischen gewechselten Herausgeber nicht genehm war. Der Autor hatte keine Möglichkeit zur Korrektur oder Neufassung seines Textes und war natürlich auch im juristischen Sinne der Dumme. Sie werden verstehen, dass ich es mir kaum verzeihen würde, einen Vertrag zu unterschreiben, der mich in eine solche Lage bringen könnte."

Rowohlt/Müller dazu am 8.1.1990: "Zur Prozedur der Annahme Ihres Manuskriptes können wir durchaus eine Regelung vereinbaren, die als Vertragszusatz gilt. Bei den Monographien [...] werden unter Vertrag stehende Manuskripte nur dann abgelehnt, wenn sie
erstens qualitativen Ansprüchen nicht genügen, die mit der jeweiligen Literaturgattung verknüpft sind;
zweitens die Vorgaben des Exposés in wichtigen Punkten durch den Autor nicht beachtet wurden,
drittens die vereinbarte Länge des Manuskripts wesentlich überschritten wurde.
Der von Ihnen zitierte Fall kommt mir reichlich merkwürdig vor: Eine Ablehnung ohne für eine Vertragslösung relevante Gründe hat keinerlei Aussicht auf Erfolg, der Autor kann den Verlag in aller Regel zwingen, seiner Pflicht zur Veröffentlichung zu genügen." -- Weder jetzt noch zu einem späteren Zeitpunkt wurde deutlich, ob Müller von dem sechs Jahre zurückliegenden Fall meines abgelehnten Manuskriptes Kenntnis hatte.

Ich bat darum, die drei in Müllers Brief genannten Punkte zur Annahmeprozedur in den Vertrag mit aufzunehmen. Daraufhin hörte ich eine Zeitlang nichts mehr vom Verlag. Ein Anruf Mitte März erbrachte keine Klärung der Gründe für die Verzögerung des Vertragsabschlusses nach Einigung über alle Detailfragen.

Auf eine briefliche Nachfrage vom 18.5. kam folgende, etwas änigmatische Auskunft von Rowohlt/Müller am 1.6.1990: "Ohne es zu wissen und zu wollen, hat sich um Ihr Projekt ein grundsätzlicher Problemberg angehäufelt. Was eine Frage der Honorierung zu sein schien [über die wir uns einig waren, B.A.L.], weitet sich nun zu einem grundsätzlichen Gespräch über die Zukunft der Monographien und die Bedingungen für ihre Autoren aus. Nicht nur Ihr Vertrag, auch der anderer Aspiranten, liegt im Augenblick auf Eis. [...] Eine Konsequenz dieses betrüblichen Umstandes ist die, dass sich Ihr Abgabetermin natürlich verschiebt... Eine andere Konsequenz läge auf Ihrer Seite: Sie könnten schlichtweg die Lust verlieren... Das täte mir ausgesprochen leid, so gut ich einen solchen Schritt auch verstehen könnte. Den letzten Satz bitte ich Sie, nicht als versteckten Ratschlag zu interpretieren." (Nachtigall, ick hör' dir trapsen...)

Das war für längere Zeit das letzte, was ich von Rowohlt hörte. Drei Jahre später, am 21.7.1993, fragte der Verlag wegen der -- nicht honorierbaren -- Aktualisierung meiner Reich-Monographie für die vierte Auflage an. Meiner -- kooperativen -- Antwort fügte ich folgenden Absatz an: "Eine andere Sache möchte ich noch ansprechen: unsere Korrespondenz aus dem Jahre 1989/90, die so wunderbar begann und auf eine für mich merkwürdige Weise im Sande verlief. Es handelte sich um eine Max-Stirner-Monographie, die zunächst (10.11.89) sehr willkommen war, zuletzt (1.6.90) aber 'im Augenblick auf Eis' lag und vielleicht dort noch liegt."

Müller anwortete am 19.8.: "In der Tat, der Plan einer Max-Stirner-Monographie liegt nach wie vor auf Eis. Und dort wird er sicher zu Ihrem Bedauern oder gar Ärger auch liegen bleiben. Der Grund dafür ist ziemlich prosaisch: Die Liste unserer verabredeten Projekte ist so lang, dass wir bis zum Ausgang dieses Jahrhunderts mit Bänden versorgt sind. Ganz nebenbei spielt auch noch unsere Einschätzung Max Stirners eine Rolle. Seine Verdienste wollen wir nicht schmälern, wir fürchten jedoch mit einiger Berechtigung, dass das Leserpublikum sehr zurückhaltend auf eine Stirner-Monographie reagieren wird."

Nach wie vor blieb unklar, welche Einflüsse massgeblich waren, um die anfängliche, fast überschwengliche Begeisterung der Monographien-Redaktion für die Idee einer Stirner-Monographie in eine solche abwehrende Haltung, die Ihre Gründe hinter Vorwänden und Schweigemauer zu verstecken hat, umschlagen zu lassen.

Erstellt: Bernd A. Laska, 16. Mai 1998; Titel geändert 4. Nov. 1999

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