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Bernd A. Laska

»Ein dauerhafter Dissident«
(Einleitung)

[»Stirner-Studien« Nr. 2]


 

Der Name Max Stirner hat in der Welt der Philosophie, das steht ausser Frage, keinen guten Klang. In philosophiegeschichtlichen Darstellungen wird er meist übergangen oder nur am Rande erwähnt. In den Registern der Fachzeitschriften, in den Programmen der Verlage, in den Vorlesungsverzeichnissen der Universitäten ist er nur selten zu finden; auch im ausserakademischen Diskurs spielt er kaum eine Rolle. Es gab und gibt nicht einen Philosophen, der sich positiv und spezifisch auf Stirner bezieht.

Gleichwohl scheint Stirner, ein vir unius libri,  samt Titel seines Buches »Der Einzige und sein Eigentum«, weithin bekannt zu sein. Man erinnert sich einiger seiner einprägsamen Sentenzen und hält ihn für den Inbegriff des naiven Solipsisten ("Ich bin einzig"), des ungenierten Egoisten ("Mir geht nichts über Mich") oder des leichtfertigen Nihilisten ("Ich hab' mein' Sach' auf Nichts gestellt"); in Nachschlagewerken wird seit etwa hundert Jahren tradiert, er sei Junghegelianer oder/und individualistischer Anarchist gewesen -- was allerdings wenig besagt. Kaum jemand möchte sich wirklich auf Stirner einlassen; sein »Einziger« gilt allgemein als literarisches Kuriosum, nicht als ernstzunehmendes philosophisches Werk.

Wenn dieses bislang dominierende Bild Stirners als bizarre Randfigur der Ideengeschichte richtig wäre, dann wäre eine Darstellung der Rezeption seines »Einzigen« freilich überflüssig, mangels Materialien ohnehin kaum möglich. Doch gründliches und gezieltes Nachforschen ergibt, dass Stirners Ideen, obwohl im öffentlichen Diskurs meist ignoriert und gelegentlich verpönt, gleichsam subkutan eine erhebliche, ja sogar, wie im folgenden gezeigt wird, eine kaum zu überschätzende Wirkung gehabt haben.

Stirners »Einziger« war auf sehr ungewöhnliche Weise durchaus effektiv; er war, wie der Titel der Editionsgeschichte signalisiert, die ich zum 150-jährigen Jubiläum des Buches schrieb, »Ein heimlicher Hit«, ein Hit sogar im doppelten Sinne des Wortes. Denn zum einen war und ist das Buch als Handelsobjekt auf unspektakuläre Weise rentierlich; zum anderen war es, was hier natürlich nur interessiert, vor allem ein hit, ein Schlag, ein Treffer, ein Schock in der intellektuellen Biographie einer Reihe von Denkern, und zwar, weil diese -- vermutlich -- durch Stirner demonstriert zu sehen meinten, dass konsequent betriebenes, also die Aufklärung fortsetzendes philosophisches Denken in axiologischen, ethischen etc. "Nihilismus" münde. Vermutlich! Denn diese Denker verarbeiteten ihre beängstigende Einsicht (oder auch nur Ahnung) nicht ihrem hochgehaltenen Ethos gemäss, also nicht öffentlich und argumentativ, sondern privatissime  -- "heimlich". In ihren reaktiv und defensiv entworfenen Philosophien und Philosophemen -- in erster Linie sind hier die Konstellationen »Marx versus Stirner« und »Nietzsche versus Stirner« zu nennen -- haben sie den negativen Bezug auf Stirner selbstverständlich verschwiegen.

Angesichts dieser Negativität und der Tatsache, dass die Abwehr und Bekämpfung der stirner'schen Ideen in der Regel verdeckt und indirekt geschah, wäre es falsch und irreführend, hier im üblichen Sinn von einer Rezeptionsgeschichte des »Einzigen« zu sprechen; es handelt sich vielmehr -- und hier bieten sich zwei unmittelbar verständliche Neologismen an -- vorwiegend um eine Re(pulsions- und De)zeptionsgeschichte. Dies zunächst wird in dieser Studie in möglichst chronologischem Zusammenhang und in konziser Form dargestellt.

Ein Eingehen auf Inhalte muss in dieser Anfangsphase der »Stirner-Studien« möglichst vermieden werden. Es waren gewiss nicht die Themen des Solipsismus, Nihilismus etc., die die später zu beschreibenden Reaktionen vieler, darunter einiger der bedeutendsten, Denker gegenüber Stirner auslösten; ein Operieren mit diesen in der Philosophie geläufigen Begriffen könnte leicht zu gedanklichen Kurzschlüssen (ver)führen und einmal mehr das Aufrollen der eigentlichen Problematik vereiteln. Im Laufe der Untersuchung wird sich jedoch abzeichnen, dass es inhaltlich um das zentrale, gleichwohl heute mehr denn je gemiedene Problem neuzeitlicher philosophischer Reflexion geht: um die Paralyse und Verkümmerung des Impulses der Aufklärung -- synchron mit ihrem (vermeintlichen) Triumphzug.

Anschliessende »Stirner-Studien« werden sowohl eine Darstellung von Stirners (Para-)Philosophie als auch detaillierte Analysen der hier nur skizzierbaren Reaktionen einzelner Protagonisten (Marx, Nietzsche, Steiner, Schmitt u.a.) auf sie liefern. Die Reihe insgesamt ist als Teil eines umfassenderen Projekts konzipiert, das im letzten Kapitel umrissen wird.


Beschreibung des Buches
»Ein dauerhafter Dissident«
dessen Inhaltsverzeichnis
dessen Namenregister

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